77 Tage
verschränkte er vor der Brust. »Hast du etwa was rausgefunden?«
»Du nicht?«
Augenblicklich wurde Danners Blick noch ein bisschen eisiger: »Nein. Dafür hatte ich ein unerfreuliches Telefonat mit Feldwebel van Pels. Sie fragt nach Ermittlungsergebnissen. Geduld scheint nicht gerade zu ihren Charakterstärken zu zählen.«
Definitiv nicht.
»Es gibt einen neuen Todesfall«, informierte ich Danner kühl. »Die van Pels sieht ihre Firma in die Luft fliegen. Sie kriegt grad richtig kalte Füße.«
Danner konnte das verblüffte Hochzucken seiner linken Braue nicht verhindern.
»Karin Küppers, sechsundachtzig, alleinstehend. Herzversagen sagt der Arzt.«
»Herzversagen?« Danner runzelte die Stirn. »Also ein natürlicher Tod. Eine Autopsie wird nicht gemacht.«
»Korrekt.«
»Dann sind wir nicht weiter als vorher. Wir haben zwar einen weiteren Todesfall, aber immer noch keine Leiche, jedenfalls im juristischen Sinne. Solange der Arzt, der den Totenschein ausstellt, keine Zweifel an der Todesursache hat, gibt es keine Ermittlungen.«
Pessimist.
»Ich brauche den Rechner«, schnappte ich ärgerlich. Ich machte eine Handbewegung, die ihn vom Schreibtischstuhl scheuchte.
»Schön! Wenn du für uns beide arbeitest, kann ich ja ins Bett gehen«, schnauzte Danner zurück, stampfte ins Schlafzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
Ich hoffte, dass Elsbeth van Pels sich hatte überwinden können, mir die Bestatterliste heute noch per E-Mail zuzusenden. Obwohl es ihr sichtlich widerstrebte, der Bitte einer gerade-nicht-mehr-minderjährigen Wollsockenträgerin tatsächlich nachzukommen.
Ich setzte mich auf das noch von Danners Hintern angewärmte Kunstleder unseres Bürostuhls und klickte mich ins Internet. Mein virtueller Briefkasten war leer. Ich musste also warten.
Egal, zu dem muffligen Danner ins Bett wollte ich sowieso nicht. Störend fand ich nur die noch immer abgestellte Heizung. Während Danner unter dicken Daunen lag, wickelte ich mich auf dem Schreibtischstuhl in die abgewetzte Sofadecke.
Ich klickte mich wieder bei den bloggergirls ein und las Gülcans neuesten Artikel über die hohe Selbstmordrate bei jungen Frauen mit Migrationshintergrund. Dann sah ich nach, ob es bei Janine Hinze was Neues gab … nö. Das Neueste aus Mo’s Loveblog ersparte ich mir.
Noch immer keine Bestattermail.
Ich tippte selbst einen kurzen Eintrag auf meiner eigenen, brandneuen Seite. Über blonde Haare. Danach hinterließ ich zu Gülcans neuem Text einen kleinen Kommentar auf ihrer Seite. Unter meinem Blog-Kürzel LilaZ. Der Gedankensprung zum vollständigen Liliana Ziegler, und damit zur neuen Kollegin im Pflegedienst, erforderte hoffentlich keine intellektuellen Höchstleistungen.
Weiterhin herrschte Leere im Briefkasten.
Ich überflog ein paar andere Blogs, die Gülcan mit ihrer eigenen Seite verknüpft hatte. In einem der unzähligen virtuellen Tagebücher blieb ich hängen. Am Rand der Seite rankten Orchideenblüten ins Bild. Die Bloggerin berichtete amüsant über den Ehealltag mit ihrem prolligen Gatten. Leichte Kost, ihr Stil hätte zu einem lustigen Buch der Sparte ›Frauenliteratur‹ gepasst. Ich fing an, ihre Einträge von vorn zu lesen. Erst nach ein paar Seiten begriff ich, dass auch diese Hobbyautorin bei einem Pflegedienst arbeitete.
Zufall?
Im Leben nicht!
Tag 39
BELLAS BLOG:
MONTAG, 21.14 UHR
Aus mir wird nie eine Mutti werden. Allen natürlichen Instinkten zum Trotz.
Es gibt Menschen, die mit zwanzig bereits drei Kinder haben. Die Windeln wechseln, Muttermilchimitat auf Körpertemperatur erhitzen und den Text vom Biene-Maja-Lied singen können. Zeitgleich.
Ich nicht.
Okay. Mein Tag war schrecklich. Ein einziges Chaos. Heute Morgen war mir wieder schlecht. Zumindest liegt es nicht am Rotwein. Das weiß ich ja jetzt.
Und Betti ist krank. Ich musste Patienten von ihr übernehmen. Der Drachen war in Höchstform. Mit seinem Regenschirm hat er Schwertkämpfe mit der Drachentochter ausgefochten. Die hat sich mit einer Unterarmgehstütze verteidigt. Ihren Entschluss, zur Mutter zu ziehen, will sie noch mal überdenken.
Zwar bilde ich mir manchmal ein, ich mache meinen Job gut. Aber ehrlich? Betti macht ihn besser.
Mario konnte meine Stimmung nicht heben. War auch nicht seine Absicht.
»Pass auf, dass ich dich nicht verlatte, wenn ich mal wirklich mies drauf bin. Sei lieber froh, dass ich dir sage, wenn du scheiße aussiehst. Bevor es noch anderen auffällt.«
Hat er das wirklich zu mir
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