8 Science Fiction Stories, Eine Anthologie der Berühmten, 3te Folge
beherrschte Delman die Lage wieder. Die Erinnerung an die schreckliche Periode nach der Verurteilung verblaßte. Er saß bequem in seinem Sessel im Restaurant, trug seinen selbst geschaffenen Anzug und sah dem Rauch nach, der sich von der selbstgeschaffenen Zigarette kräuselte.
Troy saß ihm gegenüber und tupfte sich die Augen mit einem Zipfel ihres Taschentuchs ab. Sie weinte nicht mehr, aber sie hielt den Kopf gesenkt, und ihre schmalen Schultern waren nach vorn gezogen. Irgendwie wirkte sie, als habe sie soeben eine schreckliche Niederlage erlitten.
Delmans Gedanken überschlugen sich. Er versuchte das frühere Zeitschema wieder zu rekonstruieren, um das neue verstehen zu können.
»Ich habe eine Menge Fragen an dich«, sagte er, zu Troy gewandt.
Sie hob das Gesicht und sah ihn an. Immer noch wirkten ihre Züge mühsam beherrscht. In ihren Augen lag – war das Mitleid? – eine Spur von Traurigkeit. Und sie sah aus, als habe sie einen Kampf aufgegeben.
»Gehen wir weg von hier«, sagte sie mit angestrengter Stimme. Sie stand auf und ging schnell auf die Tür zu. Delman nahm die Rechnung des Kellners in Empfang. Der Mann hatte offenbar nicht bemerkt, daß der Tisch vor wenigen Minuten noch unbesetzt war.
Die Rechnung schloß zwei Essen ein. Delman zuckte die Achseln. Wenn der Ober sich erinnerte, daß er zwei Essen gebracht hatte, dann mußte er die Illusion aufrechterhalten und zahlen.
Welche Art von geistigem Vorgang, überlegte er, konnte den Kellner gezwungen haben, sich an etwas zu erinnern, das nie geschehen war?
Als er bezahlte, lächelte ihn die Dame an der Kasse an und sagte freundlich: »Danke, Mister Delman«, als sie ihm das Wechselgeld zurückgab. Er bemerkte mit Schrecken, daß er sein Gedächtnis noch immer nicht wiedergefunden hatte. Er erinnerte sich an nichts in dieser Stadt, nicht an die Häuser und nicht an die Menschen. Sein Leben, so weit er das bis jetzt sagen konnte, begann am dritten Mai.
Plötzlich begannen seine Mundwinkel zu zucken. Heute war der dritte Mai, und das halbe Jahr, das zwischen dem ersten dritten Mai und jetzt vergangen war, existierte überhaupt nicht. Für jeden – außer Troy – war gestern der zweite Mai gewesen.
Allmählich begann er die Gedankengänge des Kellners zu verstehen.
Troy wartete in seinem Auto auf ihn. Es parkte am Randstein vor dem Restaurant. Sie kannte es natürlich. Und ihm war es vertraut, als gehöre es zu seinem Wesen. Aber er hatte es selbstverständlich nie gefahren – es sei denn, jemand, der vor einer halben Stunde hier gestanden wäre, hätte es bezeugt.
Er setzte sich hinter das Steuerrad, drehte den Zündschlüssel herum und horchte, wie der Motor allmählich kam. Er fuhr an und steuerte auf die Stadtmitte zu.
Troy saß wortlos neben ihm. Ab und zu streifte ihr Blick die Schaufenster, an denen sie vorbeifuhren. Aber es war deutlich zu sehen, daß sie mit ihren Gedanken woanders war .
Das Mädchen war sein Hauptproblem. Als sie zum erstenmal in die Zelle gekommen war, hatte sie ihn umarmt und ›Liebling‹ genannt. Auch jetzt hatte er das vage Gefühl, daß sie nicht zum erstenmal neben ihm saß.
Er warf ihr einen schnellen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zuwandte. Sie war wohl die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Oder an die er sich erinnerte. Das besagt nicht viel, dachte er mit einem bitteren Lächeln. Aber er wußte, daß er zu Unrecht verbittert war. Wenn er sein Gedächtnis auch verloren hatte, so besagte das nicht, daß sein Verstand ausgelöscht worden war – so etwa, wie man eine Tafel mit einem Schwamm abwischt. Er konnte sich an keine Einzelheiten seiner Vergangenheit erinnern, aber die allgemeinen Wertmaßstäbe und das durch Erfahrung gewonnene Wissen, die sich im Laufe seines Lebens angehäuft hatten, waren nicht getilgt worden. Eines Tages stellte er vielleicht überrascht fest, daß er Talent zum Malen oder Klavierspielen besaß oder daß er ein berühmtes Bauwerk aus Zahnstochern nachbilden konnte. Im eigentlichen Sinn hatte er diese Dinge nicht verloren – er wußte nur zu wenig von ihrer Existenz und kümmerte sich daher auch nicht um sie.
Auf alle Fälle konnte er jedoch als sicher annehmen, daß Troy in ihn verliebt war, ebenso wie er selbst eine leichte Unruhe fühlte, wenn er an sie dachte.
Er mußte seine Vergangenheit ausgraben. Es lag zu viel Unverständliches in ihr. In der Zelle hatte Troy mehrmals behauptet, sie habe an all diesen Vorfällen schuld. Auch
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