80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
zuvor. Ich war eine Raupe in einem Kokon gewesen, jetzt war ich ein Schmetterling und flog.
In luftige Höhen.
Wenn ich kam, flüsterte ich seinen Namen.
Chey.
Und dann schlief ich in seinen Armen ein, beschützt, sicher, warm, mit entspannten Gliedern und gestilltem Verlangen.
Als ich eines Morgens aufwachte, war er fort. Auf der Arbeitsplatte in der Küche fand ich eine hastig hingekritzelte Notiz, er müsse kurzfristig weg und wisse nicht, wie lange er fortbleibe. Aber er liebe mich bis zum Mond und wieder zurück. Ich lächelte. Wir hatten beide losgeprustet, als wir diesen Ausdruck mal in irgendeiner Fernsehserie aufgeschnappt hatten. Seither war daraus ein vertrauter Scherz zwischen uns geworden, obwohl ich mit der Zeit merkte, dass ein Körnchen Wahrheit darin steckte.
Außerdem schlug er mir auf dem Zettel vor, ich solle doch bleiben und nach der Wohnung sehen, solange er fort sei. Na toll, dachte ich, enttäuscht, dass es ihm so leichtfiel, mich zurückzulassen. Um meine Wut abzukühlen, ging ich den ganzen Weg zur Bleecker Street zu Fuß, wo ich dann in der Konditorei jenen heftigen Streit vom Zaun brach, der mich meinen Job kostete.
Meine Ersparnisse reichten genau drei Wochen, und ohne Visum einen Job zu finden, war nicht gerade einfach. Noch immer ließ Chey nichts von sich hören. Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Bude in Brooklyn aufzugeben und mit meinen wenigen Habseligkeiten in den Meatpacking District in Cheys Wohnung zu ziehen. Mir war allerdings nicht ganz wohl dabei, weil ich seine Reaktion nicht einschätzen konnte. Doch selbst nach sechs Wochen blieb er immer noch verschwunden, und der Anrufbeantworter seines Handys war auch längst voll.
Als ich mir eines Morgens mit etwas Kleingeld, das ich auf Cheys Schreibtisch gefunden hatte, einen Kaffee im nächsten Starbucks gönnte, dabei die rostigen Stahlpfeiler der High Line anstarrte und meine begrenzten Handlungsmöglichkeiten erwog, rief jemand meinen Namen.
»Luba!«
Es war Cheys fetter russischer Freund, der mir damals den Kaffee über die Bluse gekippt hatte. Sein Name war Lev. Chey hatte uns vor einigen Monaten zuvor miteinander bekannt gemacht, und er hatte sich vielmals für sein damaliges Verhalten entschuldigt. Der Mann hatte unverkennbar Angst vor Chey, der die Oberhand bei ihrer vermutlich geschäftlichen Beziehung hatte.
Ich begrüßte ihn nicht gerade begeistert. Mein Ärger über Cheys Abwesenheit erstreckte sich auch auf seine Bekannten.
»Na, wie steht’s?«, fragte er.
»So lala«, erwiderte ich. »Du weißt nicht zufällig, wohin sich Chey verdrückt hat, oder? Wie lange ist er denn noch fort?«
»Er sagt mir nie etwas«, antwortete Lev.
»Hätte ich mir denken können.« Innerlich fluchte ich.
Ohne dass ich ihn aufgefordert hatte, setzte er sich zu mir an den Tisch. Ich musterte ihn. Sein Hemd platzte fast aus allen Nähten, über seinem hervorquellenden Bauch ächzten die Knöpfe, und der Stoff war zum Zerreißen gespannt. Was konnte so ein Dickwanst mit Chey zu tun haben?
Er missdeutete meine ärgerliche Miene als Kummer.
»Was ist denn?«, fragte er mich besorgt.
»Ach, dein Freund Chey, das ist es«, seufzte ich. »Einen Tag ist er hier, am nächsten Tag verschwindet er, ohne auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen. Das macht es nicht einfach.«
Und ich erzählte ihm, was in der Konditorei vorgefallen war und dass ich meinen Job verloren hatte und jetzt in der Klemme steckte. Er bot mir ein paar hundert Dollar an, aber das konnte ich nicht annehmen. Nicht von Lev. Er würde eine Gegenleistung erwarten, die ich ihm nicht geben wollte. Also schlug ich sein Angebot aus und erzählte ihm, dass ich einen neuen Job suchte und warum das nicht so einfach war.
Ein breites Grinsen erhellte seine dümmliche Miene.
»Ich bin auch ohne Papiere hier«, erklärte er, als wäre das etwas, worauf man stolz sein konnte.
»Gratuliere«, erwiderte ich bitter. »Willkommen im Club …«
»Chey hat mir erzählt, du könntest wunderbar tanzen. Du wurdest doch in Russland ausgebildet, oder?«
»Ja. Aber das ist schon lange her. Außerdem war ich nicht gut genug, es haperte an meiner Technik.«
»Was hat Tanzen mit Technik zu tun?«
»Das ist schwer zu erklären.« Ein Trampel wie er würde es nicht kapieren. Ich nahm einen Schluck von meinem schnell kalt werdenden Kaffee.
»Wenn du wieder tanzen willst, also für Geld, kann ich vielleicht helfen. Bis Chey zurück ist. Interessiert?«
»Schieß los«, sagte
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