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80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)

80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)

Titel: 80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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Sizilien gab es eine schnelle, schmutzige Nummer auf der Haube eines geparkten Wagens mit Beethovens Fünfter aus dem Autoradio als Begleitmusik. In Paris ein Akademiker, der die besten Konditoreien im Quartier Latin kannte und nur zu Lou Doillons »I.C.U.« einen Steifen bekam. In Reykjavík war es ein Brite, der eine ganze Tasche voller Dildos hatte und von mir von hinten genommen werden wollte, wozu Mick Jagger und die Stones »You Can’t Always Get What You Want« zum Besten gaben. In Stockholm ein Typ, dem ich dabei zusehen musste, wie er sich zu Johnny Cash einen runterholte und gleichzeitig im Neuen Testament las, und in Mailand eine blonde deutsche Touristin, die meine Zwillingsschwester hätte sein können. Sie leckte mich, bis ich einen Orgasmus bekam, und streichelte mich dann zu Ani DiFrancos »Overlap« in den Schlaf.
    Die Songs wurden wichtiger als der Sex, und bald verschwammen all die Schwänze und Mösen vor einem Soundtrack, der den Hintergrund meines Lebens bildete.
    Wenn ich nicht gerade tanzte oder fickte, schlief ich oder spazierte durch die Straßen. Die Sehenswürdigkeiten und Museen schaute ich mir bloß von außen an, genoss dabei ein Eis, ein Stück Pizza, eine Currywurst, kandierte Mandeln oder was immer die Spezialität des Ortes war. Ich machte mir nicht die Mühe, die Städte, in denen ich auftrat, näher kennenzulernen, genauso wenig wie ihre Bewohner – außer dass ich mir jemanden für die Nacht suchte, ehe ich zum nächsten Flughafen und zur nächsten Stadt aufbrach.
    Und ich dachte die ganze Zeit an Chey.
    So war im Handumdrehen ein Jahr vergangen, wie ich mit Schrecken eines Morgens unter der Dusche feststellte. Ich war gerade damit beschäftigt, mich mechanisch einzuseifen, um mich für einen weiteren Auftritt vorzubereiten, auf einer neuen improvisierten Bühne, vor einem anderen unsichtbaren Publikum, vor Menschen, deren Gier und Erregung ich nur erahnen konnte, vor Zuschauern aus einer anderen Welt. Das Reisen war für mich mittlerweile zur Routine geworden und stellte sich mir als eine einzige Abfolge von Flughäfen, Hotels, dunklen Nächten und Körpern dar. Zwar hatte ich gewisse Einblicke in ihre Welt bekommen, aber tief in meinem Innern wusste ich, dass ich nichts gesehen hatte, dass ich nur eine Touristin im Haus der Lust war.
    Mittlerweile begannen mich die Sextänze zu langweilen. Was ich anfangs als künstlerische Herausforderung empfunden hatte, war inzwischen nur noch eine Plackerei, die ich wegen des Geldverdienens auf mich nahm. Wenn meine Tanzpartner ihren Schwanz aus mir herausgezogen hatten und ich anschließend leer, einsam und mit endlos kreisenden Gedanken im Kopf in mein Hotelzimmer kam, fragte ich mich, wie es mit mir weitergehen würde. Wohin sollte ich gehen, was würde ich tun, wenn diese Episode meines Lebens, wie es unvermeidlich war, zu ihrem Ende kam?
    Für einen meiner nächsten Auftritte musste ich nach Amsterdam fliegen. Aber weil mir bis dahin noch eine Woche Zeit blieb, entschloss ich mich, die freien Tage im sonnigen Südfrankreich am Meer zu verbringen. Ganz für mich allein.
    Noch ein Tag, noch mehr Geld, noch ein Tanz, noch eine Stadt und noch ein Schwanz.
    So dachte ich zumindest – bis ich den Brief bekam.
    Er war mir um die halbe Welt gefolgt. Der weiße Umschlag war an den Ecken abgestoßen, er hatte einen kleinen Riss abbekommen, der von irgendeinem Postbeamten mit braunem Klebestreifen behoben worden war, und trug mehrere handschriftliche Notizen und Aufkleber, die ihn von einer Stadt in die nächste geführt hatten.
    Doch schließlich hatte er mich erreicht, in Südfrankreich, in einem Ferienclub bei Montpellier. Hier wollte ich kurz ausspannen zwischen zwei gut besuchten (und gut bezahlten) Vorstellungen mit Tango in einer abgeschiedenen Villa in der Umgebung von Cannes, ehe ich nach Amsterdam reisen würde. Das Publikum bestand hauptsächlich aus Filmleuten und ihren Geldgebern. Leider bekam ich anschließend kein Angebot aus Hollywood, sondern nur die üblichen eindeutigen Offerten, an die ich längst gewöhnt war.
    Chey hatte den Brief in Miami aufgegeben und ihn mit meinem Namen an Lucians Adresse in Venice Beach in Kalifornien geschickt. Lucian hatte ihn nach New Orleans weitergeleitet, von wo aus er mir durch halb Europa von Stadt zu Stadt nachgesandt worden war.
    Die Handschrift, mit der mein Name auf den Umschlag geschrieben war, schien mir zunächst fremd. Ich war noch nie in Miami gewesen und kannte dort auch niemanden.

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