80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
nicht, was ich als kränkender empfinden sollte: dass sie überhaupt auf die Idee gekommen war, mich zu bezahlen, oder dass es so wenig war.
Nach diesem Erlebnis fiel es mir eine Weile schwer, zu anderen Menschen Vertrauen zu fassen. Zwar traf ich auch weiterhin Männer und Frauen, mit denen ich ins Bett stieg, gab mich aber nicht länger meinen Gefühlen hin und hielt meine Gedanken und meine Seele im Zaum. Ein Teil von mir blieb nun für immer verschlossen.
Mein emotionaler Rückzug war sicherlich nicht gut für meine Tanzdarbietungen, machte sie mir aber erträglicher. Inzwischen hatte ich mir eingeredet, dass ich dabei gar nicht fickte, sondern nur eine Schauspielerin war, die die Fantasien anderer bediente, eine Illusionistin, die Träume verkaufte.
Es war kein Sex, was wir darboten. Dafür gab es Bordelle und Striplokale. Die Shows des Netzwerks hingegen waren verspielte Fantasien, ein in Bilder umgesetztes Bekenntnis dazu, dass die körperliche Liebe Teil des Lebens ist und nicht hinter verschlossenen Türen weggesperrt werden muss und dass sie schon gar nicht etwas war, über das man peinlich berührt kicherte. Laut Madame Denoux waren sie ein Tanz, in dem die beiden Partner sich auf die denkbar intimste Weise miteinander verbanden, ohne dass dies im Vordergrund stand. Der Höhepunkt, die Penetration, war dabei bloß eine Stufe im Rhythmus des Lebens.
Auch weiterhin lehnte ich den Kontakt zu meinen Tanzpartnern – mit Tango, dem Inkapriester und dem Ballettmeister – außerhalb der Bühne ab. Zwischen den Shows hörte ich nur durch die regelmäßigen Informationen des Netzwerks etwas über sie, über die nächsten Auftrittstermine und über die Gesundheitsbescheinigungen, die wir uns alle jeden Monat neu besorgen mussten.
Diese Erledigungen neben den Bühnenauftritten gaben dem Ganzen etwas Steriles und Ernüchterndes. Aber sobald dann die Musik einsetzte und mein Partner aus der Dunkelheit ins Scheinwerferlicht trat, vergaß ich den Organisationskram und die Gesundheitschecks und ging völlig in der Reaktion des Publikums und dem Gefühl eines nackten, in mich eindringenden Schwanzes auf, dem Schwanz eines Fremden. Mich beruhigte das Wissen, dass zwischen uns keinerlei Beziehung bestand, außer der allereinfachsten, der zwischen unseren Körpern.
Ich fühlte mich gefährlich, ungestüm, grenzenlos erotisch, und am Ende kam ich mir vor wie ein ätherisches sexuelles Wesen, halb Mensch, halb lockender Duftstoff und Begehren, ein wandelndes Gefäß der Lust.
Abseits der Bühne war es etwas ganz anderes. Ich gabelte mir hier und da Männer, manchmal Frauen und gelegentlich auch Partner auf, deren Geschlecht sich nicht eindeutig festlegen ließ. Mit Transvestiten, Schwulen und transsexuellen Männern und Frauen kam ich am besten klar. Sie fickten, als würde die Anatomie keine Rolle spielen, und sie definierten nicht ihr gesamtes Wesen über ihre Sexualorgane.
Die meisten meiner Eroberungen allerdings beeindruckten mich nicht weiter und lösten in mir keine tieferen Gefühle aus. In jeder Stadt lockte ich jemanden ins Bett. Ich sammelte Liebhaber und Liebhaberinnen wie Souvenirs, quasi als Ersatz für die Museen und Kunstgalerien, die ich nie besuchte.
Florence war die Einzige, deren Namen mir im Gedächtnis blieb. An die anderen erinnerte ich mich allenfalls noch wegen der unvermeidlichen Musik, die jene Abenteuer begleitete, Klangwolken, die darauf angelegt waren, zu entspannen und zu stimulieren oder schlicht die unvermeidlichen Geräusche der Liebe zu übertönen, wie das Quietschen von Hotelbetten und das Aufeinanderklatschen von Körpern in der Raserei der Lust.
In Prag traf ich ein schwarzes Mädchen, das mich in einem dunklen Club gegen eine Wand drückte und mit einem Umschnalldildo zum Song »Lullaby« von The Cure penetrierte. Die Gäste tranken mit glasigen Augen ungerührt ihr Bier und knabberten ihre Chips. Dass sich da zwei Frauen in einer Ecke in der dürftigen Deckung eines Barhockers liebten und sich nicht einfach nur unterhielten, bekamen sie gar nicht mit.
In Berlin waren es Jazzklassiker, als mich ein Student aus Neukölln langsam zu Duke Ellingtons »Mood Indigo« und Peggy Lees »Fever« bumste. In Barcelona ein Kellner aus einer Tapas-Bar, der mich anrief, nachdem ich ihm zusammen mit dem Trinkgeld auf der Rückseite einer Serviette meine Telefonnummer hinterlassen hatte. Er brachte nach Schichtende seine eigene Musik mit ins Hotelzimmer, aggressiven spanischen Reggae. In
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