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80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)

80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)

Titel: 80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
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Buchschätze ohne Handschuhe anfasste! Aber Bücher sind schließlich zum Lesen da. In seiner exklusiven Musiksammlung fanden sich auch ein halbes Dutzend CDs mit russischer Folklore und Tänzen. Ich hörte sie mir immer wieder an, bis ich mich in slawischer Melancholie verlor und mit wehem Herzen die Melodien mitsummte und mich von den Texten trösten ließ.
    Nachmittags hatte ich an solchen Tagen das Bedürfnis nach frischer Luft. Dann schlüpfte ich in eine alte Jogginghose, die ich von Lauralynn geerbt hatte, und unternahm einen flotten Spaziergang vorbei am Royal Free Hospital und den Läden rund um die U-Bahn-Station.
    Um diese Tageszeit war der Park voller Kindermädchen mit Buggys. Die Kleinen fütterten die Enten, während ihre Aufpasserinnen sich angeregt in allen möglichen Sprachen unterhielten. Jogger jeden Alters huschten über die engen Pfade, vorbei an Teichen und der Badestelle, die auf mich wenig Reiz ausübte, da das Wasser sicherlich so kalt war wie ein ukrainischer Fluss und obendrein ziemlich trübe aussah. Gewöhnlich machte ich eine scharfe Kehre nach links – und fand mich in einer ganz anderen Welt wieder.
    Es war schon fast unheimlich, wie man in diesem Teil des Parks schon nach wenigen Schritten den Eindruck hatte, die Stadt hinter sich gelassen zu haben und sich in einem seit Jahrhunderten unberührten, einsamen Urwald zu befinden. Hier konnte man meditieren und sich mit der Natur im Einklang fühlen. Wenn ich durch diese abgelegene Ecke des Parks streifte, spürte ich allerdings jedes Mal auch tief in meinem Bauch eine erotische Regung. Es war fast, als würde mich eine übernatürliche Stimme auffordern, meine Kleider abzustreifen und nackt durch die Natur zu laufen, vorbei an umgestürzten Bäumen und über schmale Pfade, um mich schließlich mit gespreizten Beinen dem Gott Pan darzubieten. Das war natürlich vollkommen verrückt, und ich tat es auch nie, aber ich war mir sicher, dass andere, die sich hierher verirrten, Ähnliches empfanden. Die reale Welt schien in unendliche Ferne gerückt, und auch die Vögel zwitscherten hier nicht mehr. Schon oft hatte ich mich auf diesen verschlungenen Wegen verlaufen, heute aber zog es mich woandershin.
    Ich stapfte unter dem Blätterdach dahin, bis ich zu einem Hügel kam, auf dem sich ein alter, schmiedeeiserner Musikpavillon erhob. Er war zu einem meiner Lieblingsplätze in diesem Park geworden, und ich wunderte mich oft, warum nur so wenige Leute den Weg hierherfanden. Wenn man aus dem Halbschatten der Bäume auf die überraschend helle Lichtung trat, hätte man meinen können, auf einem anderen Planeten gelandet zu sein. Das satte Grün leuchtete einladend im Sonnenlicht, unschuldig und unberührt. Ganz am anderen Ende dieser natürlichen Freilichtbühne saß ein Paar im Gras und genoss die Herbstsonne. Doch der Musikpavillon war leer, und so wandte ich mich dorthin. Am Tag zuvor hatte ich mit Fitzgeralds Der Knacks begonnen, das ich in einer zerfledderten Taschenbuchausgabe bei einem Wohltätigkeitsverkauf in der Hampstead Community Hall gekauft hatte. Natürlich hätte ich es nie gewagt, eines von Viggos kostbaren Büchern außer Haus mitzunehmen.
    Ich setzte mich auf die steinerne Rampe und öffnete das Buch dort, wo ich es zugeschlagen hatte, als Viggo und Lauralynn am Vorabend zu mir ins Schlafzimmer gekommen waren, um mich zu einem ihrer sexuellen Spielchen zu verlocken. Ich hatte nur noch vierzig Seiten und zwei Stunden Zeit, bis es dunkel würde.
    »Das habe ich nie gelesen. Ist es ein Roman oder eine seiner Kurzgeschichtensammlungen?«, fragte jemand hinter mir.
    Ich erstarrte, und die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen. Diese Stimme! Ich wandte mich um und hob den Kopf.
    Die Sonne blendete mich, sodass ich zunächst nur eine Gestalt wahrnahm. Eine gewaltige Welle aus Erleichterung, Angst, Zorn und Sorge überflutete mich wie ein Tsunami.
    Chey!
    Ich versuchte, mich zusammenzureißen, wollte ganz ruhig bleiben.
    Seit Monaten hatte ich mir diesen Augenblick vorgestellt. Ich hatte von ihm geträumt, ihn herbeigesehnt, aber nie geglaubt, dass er wirklich wahr werden könnte. Nicht so jedenfalls und nicht hier.
    »Wie hast du mich gefunden?«, entfuhr es mir, sicherlich zu laut. »Wie …? Bist du mir etwa gefolgt?«
    »Ja«, gestand er. Mit verschleiertem Blick sah er auf mich herab.
    Im ersten Moment verspürte ich eine ungeheure Erleichterung, ihn lebend und gesund wiederzusehen. Doch sogleich wich sie einem mächtigen Zorn,

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