80 Days - Die Farbe des Verlangens: Band 4 Roman (German Edition)
Künstler, der nicht aus seiner eigenen Fantasie schöpfte … wie Viggo.
Statt zu antworten, seufzte Chey auf.
Da hörte ich die Haustür gehen, und Viggo und Lauralynn traten in den großen Wohnraum, in dem wir abends oft bei einem Drink beisammensaßen. Sie hatten an diesem Nachmittag im Tonstudio einigen Overdubs den letzten Schliff verpasst. Gleich nach der Begrüßung erklärte Lauralynn, sie sei total erschöpft von den endlosen Aufnahmen, und verschwand in ihrem Zimmer.
Viggo schenkte sich ein Glas Bourbon ein und setzte sich auf seinen gewohnten Platz auf der Ledercouch. Er sah ebenfalls müde aus und glich so gar nicht dem jungen Rockstar, den man von der Bühne und den Illustriertenfotos kannte.
»Was gibt’s Neues, ihr Turteltäubchen?«, fragte er.
Mit einem stummen Blick bat ich Chey um die Einwilligung, Viggo über unsere vertrackte Situation zu informieren. Bis jetzt wusste er lediglich, dass Chey in irgendwelchen Kalamitäten steckte, ohne weitere Einzelheiten zu kennen. Er hatte auch nicht danach gefragt. Offenbar fand er es sogar ziemlich cool, in seinem Haus einen Flüchtling zu beherbergen – obwohl er bestimmt vermutete, Chey müsste sich vor irgendwelchen Gläubigern verstecken und nicht vor gefährlichen Leuten von der Drogenmafia.
»Wir stecken in der Scheiße, Viggo«, sagte Chey.
Viggo sah ihn fragend an.
»Was ist los, Kumpel?«
Viggo hörte Chey aufmerksam zu. Gelegentlich nickte er mitfühlend und schenkte sich Bourbon nach, den er ohne Eis trank.
»Irre!«, sagte er schließlich, als Chey zu Ende erzählt hatte.
»Ja, irre. So kann man es auch sehen«, sagte ich. Es ärgerte mich etwas, dass er sich das Ganze mit großen, amüsierten Kinderaugen angehört hatte.
»Wenn ich es recht verstehe, hast du das nötige Geld, um das Land mit unbekanntem Ziel zu verlassen. Doch wenn dir nicht eine List einfällt, mit der du deine Verfolger ein für alle Mal abschütteln kannst, ist alles für den Arsch.«
»So kann man es ausdrücken.«
Viggo gluckste.
»Leute, was ihr braucht, ist … Zauberei.«
»Zauberei?«
»Ja, Zauberei.«
»Du sprichst in Rätseln«, begehrte ich auf. Chey, der schwieg, sah den grinsenden Viggo skeptisch an.
Viggo schlug die Beine übereinander, stellte sein Glas ab und fuchtelte wild mit den Armen.
»Ganz einfach. Wir müssen dich verschwinden lassen.«
»Und wie sollen wir das anstellen?«, fragten Chey und ich wie aus einem Mund.
»Alles eine Frage der Inszenierung, Freunde. Ein Gebiet, auf dem ich mich auskenne. Habe ich euch schon erzählt, wie sehr ich als Teenager Alice Cooper verehrt habe? Seine Effekte, seine Tricks …«
»Kannst du mal Klartext reden, Viggo?«, unterbrach ihn Chey.
Siegessicher stand Viggo auf.
»Das überlasst nur mir. Lasst mich drüber nachdenken, drüber schlafen und das Ganze vielleicht mit Lauralynn besprechen. Aber eigentlich halte ich meinen Einfall schon jetzt für genial. Und morgen früh, Abrakadabra, präsentiere ich euch dann einen astreinen Fluchtplan.«
Ich war verblüfft und meinte schon, er habe zu viel Bourbon in sich hineingekippt. Aber dann fiel mir ein, dass ich Viggo noch nie betrunken gesehen hatte. So mager er auch war, er hatte eine wahre Pferdenatur.
Als er das Wohnzimmer verließ, blinzelte er mir spitzbübisch zu.
Auch am nächsten Morgen hatte Viggo diese nervtötend gute Laune.
Solange ich es ertragen konnte, sah ich ihm schweigend zu, als er nur mit einer Unterhose und einem Lächeln auf dem Gesicht in der Küche herumsprang. Er brutzelte Frühstücksspeck in der Pfanne und füllte das Waffeleisen wie am Fließband. Die Waffeln schichtete er aufeinander, zu einem Schiefen Turm von Pisa, der jeden Augenblick auf den Boden zu kippen drohte. Auf der Suche nach der Grillpfanne hatte er alle möglichen Töpfe aus den Schränken geräumt und in heiklem Gleichgewicht auf der Arbeitsfläche gestapelt. Mittlerweile waren sie alle großzügig mit Mehl und Zucker bestäubt.
Er unterbrach sein hektisches Treiben nur einen Augenblick, um aus der Filtermaschine eine Tasse Kaffee einzuschenken, die er dann so sanft vor mich hinstellte, als würde man einem zornigen Gott ein Opfer darbringen.
»Und?«, fragte ich gedehnt, von dieser Geste nur ansatzweise beschwichtigt. »Hast du vor, uns in absehbarer Zeit in deinen genialen Plan einzuweihen?«
»Geduld, mein Herz, nur Geduld!« Mit einer theatralischen Geste schwang er den Pfannenheber in der Luft. »Lass uns wenigstens warten, bis die anderen da
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