9 - Die Wiederkehr: Thriller
Leo neugierig durch den Sucher guckte. »Und wer ist E.T.?«, hatte Leo gefragt.
Nachdem er die Vorrichtung überprüft hatte, klatschte er vor Aufregung zweimal in die Hände. Er blickte in den Nachthimmel und lächelte bei der Vorstellung, was er später dort sehen würde. Es würde sein erster Sternschnuppenregen sein. Darauf freute er sich schon den ganzen Sommer.
Unten in der Küche stritten sich Victoria und Amador.
»Diesmal wird er nicht so einfach davonkommen«, sagte sie. »Wir müssen ihn für sein Verhalten bestrafen. Richtig bestrafen.« Dabei schloss sie unwillkürlich eine Faust. »Warte!« Sie hielt kurz inne, als ihr plötzlich eine Idee kam. »Ist heute Nacht nicht die Sache mit den Sternen, auf die er schon so lange wartet?«
Amador erinnerte sich, wie er seinen Sohn fest in den Arm genommen hatte, als sie das Teleskop auf dem Balkon installiert hatten, so sehr hatte ihn die Frage nach E.T. gerührt. »Ein ziemlich hässlicher und, wie es scheint, aus der Mode geratener Außerirdischer«, hatte er ihm erklärt. Als er jetzt Victorias Vorschlag hörte, schnürte es ihm das Herz zu. Aber er konnte ihr nicht widersprechen. Nicht einmal, als ihm der Blick seiner Frau zu verstehen gab, dass es diesmal nicht sie sein würde, die sich mit Leo anlegte.
»Warum muss immer ich die Böse sein?«, fragte sie.
So kam es, dass Amador an diesem Abend die Tür zu Leos Zimmer öffnete und, ohne seinen Sohn anzusehen und ohne ein Wort zu ihm zu sagen, geradewegs auf den Balkon hinaustrat.
»Ich habe schon alles überprüft, es ist perfekt! Der Sternschnuppenschauer kann kommen!«, rief ihm Leo voller Vorfreude vom Bett aus zu.
Amador hörte ihn, betrachtete das X aus schwarzem Klebeband, das sie gemeinsam auf den Boden befestigt hatten, und spürte, wie ihm die Kehle trocken wurde, als er das Teleskop hochhob und zusammenfaltete. Er kehrte ins Zimmer zurück, von wo aus Leo ihn beobachtete. Leo stand in der Balkontür und hielt sich am Türrahmen fest. Er rieb die nackten Füße aneinander.
»Papa, nicht …«
Amador tat so, als hätte er ihn nicht gehört, und drückte auf den Knopf, um die Rollläden bis zum Boden herunterzulassen.
»Ich werde den Strom abschalten, damit du die Rollläden nicht wieder aufmachen kannst«, sagte er.
Dann ging er aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Als Amador das Schlafzimmer betrat, wo ihn Victoria auf der Bettkante sitzend erwartete, warf er das Teleskop neben seine Frau auf die Matratze. Dann schloss er sich im Badezimmer ein. Er drehte den Wasserhahn auf, um sich die Stirn und den Hals zu benetzen, bevor er aufblickte und zu seinem Spiegelbild sagte:
»Dein Sohn ist völlig normal. Alles wird gut.«
Leo verbrachte die Nacht vor der Balkontür auf dem Fußboden. Durch einen kleinen Spalt im Rollo, das er mit Gewalt hochgeschoben und auf ein Buch über Astronomie gestützt hatte, schielte er in den Nachthimmel und malte sich den eindrucksvollen Lichter- und Farbentanz aus, der sich in der mondlosen Nacht über Arenas ereignen sollte, jener Nacht, in der Leo das Vertrauen in seine Eltern verlor. Ein schwarzes Bündel fiel plötzlich vom Dach auf seinen Balkon und schlich auf leisen Pfoten zu der kleinen Öffnung, durch die hindurch sein Herrchen verzweifelt versuchte, etwas zu sehen, das der Kater leicht hätte verfolgen können, hätte er nur das Gesicht zum Himmel gehoben. Pi aber zog es vor, sich einzurollen und Leos flacher, stockender Atmung lauschend selig einzuschlafen.
»Schau dir die Sterne an, Pi«, sagte er. »Du bist da draußen, du kannst es!«
Nach der Sache mit dem Teleskop verließ Leo für den Rest der Ferien kaum noch das Haus. Nur am Churros-Essen am 20. August nahm er teil, wobei er sein Handtuch, das er unter einem Baum ausgebreitet hatte, den ganzen Tag über nicht verließ und seiner Mutter damit den letzten Nerv raubte. Victoria sah zu ihrem Sohn und dann zu der Gruppe von Halbwüchsigen, die auf die Trauerweide am Ufer des Sees geklettert waren. Die Mutigsten sprangen sogar von dort oben ins Wasser. An dem Tag, an dem sich die ganze Stadt am See versammelte, um Unmengen von Krapfenkringeln in dünne Plastikbecher mit heißer Schokolade zu tunken und zu verschlingen, hatte Leo nicht ein einziges Mal seinen einsamen Platz im Schatten des Baumes verlassen. Er hatte sich nicht einmal das T-Shirt ausgezogen. Und Victoria spürte mehrmals dieses bestimmte, fast schon vertraute Stechen in der Magengegend.
Der Sommer ging zur Neige,
Weitere Kostenlose Bücher