9 - Die Wiederkehr: Thriller
ihr eine Antwort erwartete.
Andrea breitete die Decke an der höchstgelegenen Stelle des Ufergeländes aus, dort, wo jedes Jahr am 20. August Churros und heiße Schokolade an die Stadtbewohner verteilt wurden, der Platz mit dem besten Blick auf den großen Weidenbaum unten am See. In der Ferne waren die Lichter von Arenas zu sehen, die wie eine Leuchtgirlande über der Parkanlage hingen. Die Riesenrutschen des Aquatopia durchbrachen den Horizont wie eine optische Täuschung. Als Andrea das Picknick ausgepackt hatte, klopfte sie mit der Handfläche neben sich auf die Decke und lud Aarón ein, sich zu setzen.
»Jetzt erzähl mal. Was ist los mit dir?«
Andrea nahm zwei Sandwichs, die sie am Nachmittag im Laden des Amerikaners gekauft hatte.
»Du weißt, was los ist. David, wir … Ich brauche dir doch nicht zu erklären, wie beschissen es mir geht, oder?«
Andrea stieß die Luft durch die Nase aus. Sie wollte, dass er ihren Seufzer hörte.
»Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass du nicht der Einzige bist, der leidet? Neulich musste ich mitten in der Vorlesung auf den Flur rausgehen, weil ich die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte.« Sie blickte starr geradeaus ins Leere. »In den hinteren Reihen habe ich zwei Studenten beim Knutschen gesehen.« Sie ergriff Aaróns Hand, eine instinktive Geste, die sie nicht unterdrücken wollte. »Und du warst immer noch nicht bei David im Krankenhaus. Seine Mutter weicht nicht von seiner Seite. Und deine leistet ihr am Krankenbett oft Gesellschaft. Sie haben beide schon nach dir gefragt.«
Aarón dachte an die letzte Unterhaltung mit seiner Mutter. »Das mit David war ein Unglück, du hast nichts damit zu tun, also hör auf mit dem Quatsch«, hatte sie ihn am Telefon gerügt, nachdem sie erfahren hatte, dass er nicht mehr zur Arbeit erschienen war. Seine Mutter würde nie erfahren, dass er sich nach dem Telefonat nackt ausgezogen, mit leerem Blick ins Badezimmer gegangen und sich unter die eiskalte Dusche gestellt hatte. Er war erst wieder herausgekommen, als ihm der Kopf und die Gelenke wehtaten, erleichtert, dass er sich auf einen körperlichen Schmerz konzentrieren konnte, der ihn von seinen Schuldgefühlen ablenkte.
»Ich habe noch mit niemandem gesprochen. Außer mit Héctor«, sagte er.
Das Lachen eines Mannes, gefolgt vom spitzen Schrei einer Frau, drang zu ihnen herüber.
»Aarón«, mahnte ihn Andrea, »ich weiß, dass du dich mit Samuel Partida getroffen hast.«
Er schwieg. Er überlegte kurz, ob er es abstreiten und sich eine Ausrede einfallen lassen sollte, entschied sich aber dagegen.
»Samuel ist der Junge, der bei dem Überfall vor dreißig Jahren im Open war«, begann er. »Erinnerst du dich, was in dem Zeitungsartikel stand? An dem Morgen, an dem du ohne mich ins Krankenhaus gefahren bist? Samuel ist der Junge, der nicht getötet wurde, weil sich ein anderer vor ihn geworfen hat.«
»Ich weiß, wer er ist. Ich habe die Zeitung dann auch noch gelesen. Aber ich hasse es, wenn sie Davos Namen in Initialen schreiben.« Andrea sah im Osten den Mond aufgehen. Man hatte fast den Eindruck, als wollte er nicht, dass die Riesenrutschen seine Oberfläche zerschnitten. »Aber jetzt erklär mir doch mal bitte, warum du Samuel besucht hast und Davo nicht. Der Überfall, bei dem dein bester Freund fast gestorben ist, war vor zwei Wochen, nicht vor dreißig Jahren.«
Nach einer kurzen Pause fragte sie:
»Ist das nicht der Vater, dessen Tochter im Swimmingpool ertrunken ist?«
Aarón erinnerte sich an das Familienfoto, das er in Samuels Wärterhäuschen im Aquatopia gesehen hatte. An das kleine blonde Mädchen, das sich an seinen Beinen festklammerte. Er nickte.
»Ich habe fast täglich mit Héctor telefoniert. Alle wissen, dass ich mir Sorgen mache.«
»Natürlich wissen das alle. Ich weiß es auch. Er ist dein bester Freund.« Es war, als spuckte sie die letzten Worte geradezu heraus. »Aber du musst ihn auch mal besuchen. Du kannst dich nicht einfach nur zu Hause einsperren.«
Sie streckte den Arm nach ihm aus und streichelte über seinen Bart.
»Nicht mal rasiert hast du dich.«
Ein heftiges Schnauben war seine einzige Antwort.
»Und mit dieser fixen Idee, dass alles deine Schuld ist, hörst du jetzt hoffentlich auch wieder auf«, fügte sie hinzu. »Bestraf dich doch nicht noch zusätzlich mit solchen bescheuerten Gedanken.«
Sie packte ihn am Arm und rutschte näher zu ihm heran.
»Du kannst gar keine Schuld an der Sache haben, hörst du?
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