9 - Die Wiederkehr: Thriller
das denkt auch seine Familie, so sehr sie alle das Gegenteil beteuern. Der Überfall sollte an diesem Abend passieren. Es stand alles schon fest. Und ich muss wissen, warum.« Die Stimme versagte ihm und war jetzt nur noch ein Flüstern. »Ich brauche eine Erklärung.«
»Wozu, Aarón? Wozu? Wird Davo davon wieder gesund?«
»Nein, Drea. Natürlich nicht.«
Plötzlich verlor alles seinen Sinn. Die schlaflosen Nächte, in denen er sich hin und her gewälzt und sich ausgemalt hatte, wie er und David gerade ihre Reise nach Kuba vorbereiten würden. Die vielen Stunden, in denen er wieder und wieder die Zeitungsausschnitte von Samuel Partida durchkaute. Die Gewissheit, dass etwas Größeres und Mächtigeres als der Zufall all die Menschen an demselben Ort in den Tod gerissen hatte. Die Kopfschmerzen. Die Zitteranfälle. Sein Selbsthass, weil er mit einem einzigen Anruf alles, was ihm im Leben wichtig war, kaputt gemacht hatte. Die Schuld. Die verzweifelte Suche nach dem Warum für eine so willkürliche Wendung des Schicksals. Einem Warum, dem Andrea mit einer simplen Frage alle Bedeutung entzogen hatte. Angenommen, er würde eine Erklärung finden, würde es David etwas nützen?
»Natürlich nicht«, wiederholte er leise.
Er wollte sich auf Andreas Schoß zusammenrollen, die Augen schließen und ein für alle Mal aufhören zu denken.
Doch da durchzuckte ihn ein Gedanke, der so hell und klar war wie das Mondlicht in der Frühlingsnacht. Unmissverständlich leuchtete er vor ihm auf.
»Ihm nicht mehr«, sagte er, oder vielleicht dachte er es auch nur. »Aber dem Nächsten vielleicht.«
Andrea hörte nicht hin.
10
LEO
Samstag, 28. Februar 2009
»Komm, Leo! Nimm dein Handtuch und steig endlich aus.«
Victoria wartete draußen vor dem Wagen mit erhobener Hand, den Daumen demonstrativ über der Schließtaste des Funkschlüssels.
»Ich sperr dich ein, wenn du jetzt nicht kommst.«
Sie streckte den Daumen und gab ihm eine letzte Chance.
Leo kletterte vom Rücksitz des weißen BMW. Er schlang sich das Handtuch um die Schultern, wickelte sich mit einer schwungvollen Bewegung darin ein und sah sich um.
Victoria zeigte auf den gewaltigen, mit Fähnchen geschmückten Eingang, vor dem sich Massen von Kindern mit ihren Eltern drängten.
»Schau dir die Schlange an!«
Der riesige Parkplatz war fast bis auf den letzten Platz besetzt.
»Leo?«, drängte sie ihn.
Es war der letzte Samstag im Februar, der Tag, an dem die Parkleitung alljährlich die neueste Attraktion des Wasserparks präsentierte. Einige Monate vor Beginn der Sommersaison öffnete das Aquatopia für einen einzigen Tag seine Tore, ein Ereignis, das fast genauso wichtig war wie das Stadtfest am 20. August. Im Herbst des Vorjahres hatte man eine alte Rutsche abgebaut und mit den Bauarbeiten für eine neue begonnen. Den ganzen Winter hindurch hatten die Kinder auf ihren Fahrrädern am Zaun gestanden und den Fortschritt auf der Baustelle verfolgt. Am letzten Samstag im Februar schließlich versammelte der Bürgermeister alle Stadtbewohner, um den Namen der neuen Attraktion zu verkünden. Außerdem wurde ein großes Bild gezeigt, auf dem man sich das fertige Bauwerk schon einmal anschauen konnte. Jahr für Jahr fielen dieselben ungläubigen Sätze der notorischen Zweifler, die sich nicht vorstellen konnten, dass der Bau tatsächlich bis zum Juni abgeschlossen sein würde. Und Jahr für Jahr wurde die Rutsche dann doch noch auf den letzten Drücker fertig.
»Warum müssen wir denn heute hierherkommen, wenn doch morgen sowieso alles in der Zeitung steht?« Leo trottete widerwillig hinter seiner Mutter her.
Er hatte sich zuerst gesträubt mitzukommen, aber schließlich aus demselben Grund eingewilligt, weshalb er in den letzten Monaten fast alles mitgemacht hatte, was seine Eltern ihm aufbürdeten. Nach den Vorfällen im vergangenen Sommer, der Sache mit dem Brief und dem Teleskop, drohten ihm seine Eltern immer wieder damit, ihn zu einem Psychologen zu bringen. Und das konnte er auf keinen Fall zulassen. Er wusste, dass Edgar, Schramme und die anderen früher oder später Wind davon bekommen würden. Und das fehlte ihm gerade noch. Dass sie ihn für einen echten Verrückten hielten.
»Manche Dinge muss man live erlebt haben, Schatz«, sagte Victoria. Sie schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und schürzte die Lippen. »Wir sind hier, weil heute der große Tag ist. Deine Klassenkameraden sind sicher auch alle da.«
Sie legte Leo eine Hand auf den Rücken,
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