9 SCIENCE FICTION-STORIES
du sie umgebracht hast«, meinte Stern.
»Sind Sie denn dumm?« schrie ich ihn an.
Stern sagte nichts. Ich drehte mich auf den Bauch, stützte das Kinn in beide Hände und sah ihn an. Man wußte nie, was in ihm vorging, aber diesmal hatte ich das Gefühl, daß er verwirrt war.
»Ich habe den Grund gesagt.«
»Mir nicht.«
Plötzlich verstand ich, daß ich zuviel von ihm verlangte. Ich sagte langsam: »Wir wachten alle zur gleichen Zeit auf. Wir taten alle, was ein anderer von uns verlangte. Wir lebten durch den Tag nach dem Kommando eines anderen, dachten andere Gedanken und sagten andere Worte. Janie malte die Bilder, die ihr ein anderer vorschlug. Baby sprach nicht mit uns, und trotzdem waren wir zufrieden. Verstehen Sie jetzt?«
»Noch nicht.«
»Du liebe Güte!« Ich dachte eine Zeitlang nach. »Wir harmonierten nicht mehr.«
»Harmonieren? Ach so. Aber habt ihr denn nach Lones Tod überhaupt harmoniert?«
»Das war etwas anderes. Das war wie ein Auto, das kein Benzin mehr hat – das Auto ist trotzdem intakt. Aber nachdem uns Miß Kew erzogen hatte, blieben von dem Auto nur noch Trümmer übrig. Verstehen Sie?«
Diesmal dachte er eine Zeitlang nach. Schließlich sagte er: »Unser Gehirn zwingt uns zu seltsamen Handlungen. Einige davon erscheinen völlig unvernünftig, falsch, verrückt. Aber in allen Dingen, die wir tun, liegt eine feste, uns nicht zugängliche Logik. Wenn man nur tief genug nachforscht, wird man auch in diesen Handlungen klare Ursachen und Wirkungen erkennen. Merk dir, ich sagte Logik. Nicht Vernunft oder Richtigkeit oder Gerechtigkeit oder sonst etwas dieser Art. Logik und Wahrheit sind zwei sehr verschiedene Begriffe, wenn sie auch dem Verstand, der die logischen Handlungen vollzieht, oft als ein und dasselbe erscheinen.
Wenn dieser Verstand nun verschiedene Zwecke gleichzeitig verfolgt, gerät das Denken an der Oberfläche in Verwirrung. Zurück zu deinem Fall. Ich kann durchaus erkennen, worauf du hinauswillst: Um diese einmalige Bindung zwischen euch Kindern zu bewahren oder zu erneuern, mußtest du Miß Kew beseitigen. Aber ich sehe nicht die Logik in deinem Tun. Warum war die Wiedergewinnung dieser ›Harmonie‹ so wichtig, daß du die neugewonnene Sicherheit dafür aufgeben wolltest, die dir doch zugegebenermaßen gefiel?«
»Vielleicht war sie wirklich nicht so wichtig«, sagte ich verzweifelt.
Stern beugte sich vor und deutete mit der Pfeife auf mich. »Du mußtest es einfach tun. Nachher sehen die Dinge oft anders aus. Aber als dich dein Verstand dazu antrieb, war alles andere unwichtig geworden. Du mußtest Miß Kew einfach töten, um diese Harmonie wiederzuerlangen. Ich weiß nicht, weshalb, und du weißt es auch nicht.«
»Wie können wir es herausfinden?«
»Hm, wenn du dich stark genug fühlst, bringen wir den unangenehmsten Teil hinter uns.«
Ich legte mich wieder hin. »Ich bin bereit.«
»Schön. Dann erzähle in allen Einzelheiten, was du getan hast, kurz bevor du sie umbrachtest.«
Ich tastete mich durch den letzten Tag, versuchte mich daran zu erinnern, wie das Essen geschmeckt hatte und wie die Stimmen geklungen hatten. Ein Eindruck kam immer wieder: das Gefühl der sauberen, gestärkten Bettücher. Ich wollte es beiseite schieben, da es ja am Tagesanfang stand, aber es ließ sich nicht verdrängen.
»Ich habe es Ihnen schon erzählt«, sagte ich. »Die Kinder, die fremde Befehle ausführten, und Baby, das nicht mehr mit Janie sprach, und unsere Zufriedenheit. Das brachte mich dazu, Miß Kew zu töten. Ich brauchte lange, bis ich das erkannte, und noch länger, bis ich meinen Plan durchführte. Ich glaube, ich lag stundenlang im Bett, bis ich wieder aufstand. Es war dunkel und still draußen. Ich ging aus meinem Zimmer hinunter in die
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