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9 Stunden Angst

9 Stunden Angst

Titel: 9 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kinnings
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»Mummy!« schreien hören. George musste etwas unternehmen, irgendetwas. Also machte er das Victory-Zeichen in Normans Richtung und formte mit den Lippen so deutlich wie möglich die Worte »Verpiss dich!«. Norman runzelte die Stirn und blinzelte verwirrt. Er sah aus, als wollte er etwas sagen, überlegte es sich jedoch anders und schlurfte davon.
    »Sag ihnen, dass er gerade weggeht«, krächzte George in das Handy.
    »O George, Gott sei Dank!«
    »Maggie, ich will mit ihnen sprechen.«
    Pause.
    »Das erlauben sie nicht, die Kommunikation erfolgt allein über mich. Du sollst deinen Tagesablauf jetzt ganz normal fortsetzen, genauso wie immer. Tritt deine Arbeit an und behalte dabei das Headset auf, bis du anderslautende Anweisungen bekommst.«
    »Maggie, frag sie, was sie wollen.«
    »Sie verstehen dich. Sie hören mit.«
    »Also? Was wollt ihr? Was soll das Ganze?«
    Wieder folgte eine kurze Stille, und dann: »Sie sagen, dass du das zu gegebener Zeit noch erfahren wirst. Aber jetzt musst du erst mal den Anweisungen folgen.«
    »Also gut, dann sag ihnen bitte, dass ich alles tue, was sie von mir verlangen, vorausgesetzt, sie krümmen weder dir noch den Kindern ein Haar.«
    »Sie können dich hören. Ich soll dir sagen, dass sie einverstanden sind. Du musst weitermachen wie an jedem anderen Tag. Sie werden dich die ganze Zeit im Auge behalten und belauschen. Und wenn du irgendetwas versuchst …«
    »Ich weiß, ich weiß. Dann bringen sie euch … ich weiß.«
    »George, du brichst jetzt besser auf.«
    Er ließ den Motor an und fuhr los. Sein Fuß auf dem Gaspedal zitterte. Im Vorbeifahren blickte er noch einmal durch das Fenster in sein Wohnzimmer. Es war niemand zu sehen, nur Poppy, Sophies Puppe, die auf der Armlehne des Sofas saß.
    Während er sich auf der Hauptstraße in den Verkehr einfädelte, füllten sich seine Augen mit Tränen. Auf der zehnminütigen Fahrt zum Depot lauschte er aufmerksam dem leisen Rauschen, das aus dem Headset drang. Wenn er an Ampeln oder Zebrastreifen hielt, beobachtete er die Leute, die ihren alltäglichen Geschäften nachgingen und nichts von dem Schrecken ahnten, der über ihn hereingebrochen war. Könnte er einem von ihnen ein Zeichen geben? War einer dieser Menschen in der Lage, seine Familie zu retten? Fragen, die er sich eigentlich selbst beantworten konnte. Jeder Versuch, Alarm zu schlagen und die Außenwelt auf seine Lage aufmerksam zu machen, konnte dazu führen, dass seiner Familie etwas zustieß. Georges Panik war so groß, dass er würgen musste, als er auf den Parkplatz des U-Bahnhofs Morden einbog.
    »Maggie?«
    »Ja?«
    »Ist alles in Ordnung bei euch?«
    »George …« Sie wurde unterbrochen, und er hörte, wie ein Mann etwas murmelte, was er nicht verstand. George hatte das Bedürfnis weiterzusprechen, irgendetwas zu sagen.
    »Ich bin jetzt am Depot angekommen.«
    »George, hör mir zu.« In ihrer Stimme lag eine Innigkeit, die George lange nicht mehr bei ihr erlebt hatte. »Du musst still sein. Bitte. Sprich nur, wenn es gar nicht anders geht.«
    »Okay. Ich wollte dir nur noch sagen, dass ich dich liebe.« Das musste er einfach loswerden. Sofort ging es ihm ein wenig besser.
    Statt einer Antwort drang nur das Rauschen der offenen Leitung aus dem Headset. Wie lange wollten diese Leute noch per Handy mit ihm kommunizieren? Oberirdisch war das kein Problem, aber für die Kommunikation im U-Bahn-Tunnel mussten sie sich etwas anderes ausdenken. Ob sie das berücksichtigt hatten?
    Nachdem George sein Auto geparkt hatte, nahm er die Tasche vom Beifahrersitz, stieg mit dem Handy in der Hand aus und schloss den Wagen ab. Dann ging er mit gesenktem Kopf auf das Bahnhofsgebäude zu.
    »Hallo, George!« Er spürte die Panik wie einen Stich und blickte auf. Vor ihm stand Louisa, eine Kantinenmitarbeiterin, mit der ihn seit Jahren eine lockere Freundschaft verband. Manchmal konnte er nicht umhin, sich auszumalen, was zwischen ihnen passiert wäre, wenn er zehn Jahre jünger und unverheiratet gewesen wäre. Louisa lächelte ihn an. Bisher hatte ihn dieses Lächeln immer zum Erröten gebracht, doch heute war es ihm vollkommen egal.
    »Hallo, Louisa. Wie geht’s?«
    »Gut, danke«, antwortete sie. »Und dir?«
    »Auch gut.« Meine Frau und meine Kinder werden von einer bewaffneten Bande als Geiseln festgehalten!, hätte er am liebsten geschrien, aber das ging natürlich nicht.
    Obwohl es noch früh am Morgen war, waren die Temperaturen bereits auf knapp dreißig Grad geklettert.

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