9 Stunden Angst
abzuwaschen, der sich über Nacht auf seiner Haut gebildet hatte. Inzwischen musste es fast halb acht sein, Zeit, den Rest der Familie zu wecken. Er wickelte sich ein Handtuch um die Hüfte, drückte Zahnpasta auf seine Zahnbürste und fing an, sich die Zähne zu putzen, während er zurück ins Schlafzimmer ging.
»Du wolltest mich doch wecken«, sagte Maggie vorwurfsvoll, als er in der Tür erschien.
»Mach ich doch gerade«, nuschelte er, den Mund voll weißem Schaum.
»Zu spät, ich bin ja schon wach.«
»Warum hältst du mir dann vor, dass ich dich nicht wecke?«
»Ich zieh dich doch nur auf.« Diesen schelmischen Tonfall kannte er. Seine Frau war gut gelaunt. Er freute sich darüber, dass sie glücklich war.
»Wie viel Uhr ist es?«
»Ungefähr zwanzig nach sieben.«
Sie gähnte und reckte die Arme. George lächelte ihr zu, und sie erwiderte sein Lächeln. Er wollte ihr gerade ein Kompliment über ihre neue Frisur machen – der kurze Bob stand ihr wirklich gut –, als sie sagte: »Mann, siehst du fertig aus!«
»Vielen Dank.«
»Immer gerne.«
George drehte sich wieder zur Tür um.
»Weckst du Sophie und Benji?«, fragte Maggie.
Er brummte ein Ja und trat zurück auf den Flur.
Sophie schlief noch tief und fest. George betrachtete sie zärtlich und hoffte, dass das Geräusch seiner Zahnbürste sie sanft aufweckte, aber seine Tochter rührte sich nicht. Sie lag auf der Seite und lutschte am Daumen. Ihre dunkelbraunen Haare hatten die gleiche Farbe wie die ihrer Mutter und fielen über ihr winziges Koboldgesicht. Wie hilflos sie aussah. Ihre Zukunft lag in seinen Händen, doch so sehr er sich in jeder Hinsicht das Beste für sie wünschte, als Londoner U-Bahn-Fahrer waren seine finanziellen Möglichkeiten begrenzt. Er streckte die Hand aus und streichelte ihr über den Rücken. Sofort machte sie die Augen auf, starrte ihn finster an und blinzelte ins Licht. »Guten Morgen, kleine Maus. Hast du gut geschlafen?«, fragte er mit der hohen Stimme, die er nur für seine Kinder reserviert hatte und die ihn jedes Mal zusammenzucken ließ, wenn er sie auf Familienvideos hörte. Dabei war es schon schlimm genug, sich in diesen Videos sehen zu müssen.
»Mir ist heiß, Daddy«, sagte sie.
»Stimmt, Schatz, es ist furchtbar heiß.« Er senkte die Stimme, damit sie wieder normal klang, so, wie er mit Maggie redete. Für Arbeitskollegen hatte er noch einmal eine andere Stimme in petto, männlich und kehlig. Er hob Sophie aus dem Bett, drückte sie an sich und setzte sie dann auf dem Teppich ab, wo sie wankend stehen blieb und gähnte.
Ben war bereits wach und spielte mit seiner Action-Man-Figur, als George in sein Zimmer kam. »Guten Morgen, Kumpel.«
Nachdem Ben lauthals eine Schießerei und diverse Explosionen simuliert hatte, erwiderte er die Begrüßung seines Vaters und ging dann dazu über, ihn über die Vor- und Nachteile von Maschinengewehren auszufragen.
»Hab ich heute Geburtstag?«, fragte er plötzlich, während George ihn vom Schlachtfeld seines Zimmers ins Badezimmer zu bugsieren versuchte.
»Morgen«, antwortete George. »Und wo gehen wir morgen hin?«
»Zu Mr. Pieces!«, brüllte Ben begeistert, und Sophie stimmte sofort mit ein. Jubelnd hüpften die beiden herum und sangen: »Mr. Pieces! Mr. Pieces!«
In Wirklichkeit hieß Mr. Pieces Mr. Pizza und war ein italienisches Restaurant, aber Ben hatte den Namen früher immer falsch ausgesprochen, weshalb die Pizzeria bei den Wakehams nun für alle Zeiten Mr. Pieces hieß. Sie waren oft und gerne dort zu Gast.
Nachdem George seine beiden Kinder endlich erfolgreich ins Badezimmer gescheucht hatte, überwachte er Bens morgendliche Katzenwäsche (»Papa? Wenn man hundert Mal auf einen Mann schießt, ist er dann tot?«) und half Sophie dabei, sich mit einem Waschlappen das Gesicht zu waschen und sich die Zähne zu putzen. Während Ben in seine Jeans und ein Spider-Man-T-Shirt schlüpfte, bürstete George Sophies Haare und zog ihr die Kleider an, die Maggie am Vorabend auf die Kommode vor dem Badezimmer gelegt hatte: eine rosa Jeans mit Blumenflicken auf dem Knie und ein gestreiftes Oberteil. Um Zeit zu sparen, trug George Sophie die Treppe hinunter, während Ben plappernd vorausging und vom Thema Maschinengewehre zu der Frage überging, was er heute frühstücken wolle. Als George mit Sophie auf dem Arm in der Küchentür erschien, sah ihn Maggie entnervt an.
»George, draußen hat es fast vierzig Grad, und du ziehst ihr ein langes Oberteil
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