9 Stunden Angst
dünn, aber die Verzweiflung machte ihn stark. Nachdem er erneut mit dem Jagdmesser ausgeholt und ihr um ein Haar die Kehle durchgeschnitten hätte, gelang es ihr endlich, ihn von sich zu stoßen und den Breischläger in Position zu bringen.
Das Geschoss riss ihn fast entzwei. Von seinem Bauch blieb nur ein schmaler Streifen übrig, ein paar Zentimeter Fleisch, mehr nicht. Er ließ das Messer ins Wasser fallen, schaffte es jedoch mit letzter Kraft, ihr die Hände um den Hals zu legen. Sein Gesicht blickte zu ihr auf, während seine Eingeweide aus dem klaffenden Bauch ins Wasser plumpsten. Und dann tat er etwas Seltsames. Während die Kraft aus seinen Fingern wich und er langsam ins Wasser sank, wo er zwischen seinen eigenen Gedärmen verenden würde, kämpfte er lange genug gegen den Tod an, um ihr ins Gesicht zu spucken. Sie wischte sich mit dem Handrücken den Speichel ab und stieß ihn mit dem Fuß von sich weg. Wenn sie sich dafür nicht die dreifache Punktzahl verdient hatte, dann wusste sie es auch nicht. Dennoch behagte es ihr nicht, wie nah ihr der Mann gekommen war. Zu nah. Das machte sie nervös.
Belle griff in die Seitentasche ihrer Weste, die sich inzwischen unterhalb der Wasseroberfläche befand. Sie tastete nach einem neuen Magazin, doch da war keins. Kein Problem, sie hatte noch jede Menge Munition dabei. Sie watete durch das Wasser zurück zum Schlusswagen. Im Licht ihrer Taschenlampe sah sie, dass Simeon an der Stelle, an der er nach ihren Schüssen zusammengesunken war, kopfüber im Wasser trieb. Das Blut aus seinen Wunden bildete große rote Wolken. Sie überlegte, ob sie ihn noch einmal küssen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Jetzt war es wichtiger, den Breischläger nachzuladen. Außerdem waren seine Lippen bestimmt längst erkaltet.
Irgendwo im Wasser musste die Tasche mit der Munition sein. Sie tastete mit den Füßen nach Widerständen. Neben der Tür stieß sie auf etwas. Es war jedoch keine Tasche, sondern etwas Kleines, Hartes: eine der Glock-Pistolen. Als sie sich bückte, um unter Wasser danach zu greifen, stieß sie die Waffe versehentlich durch die offene Tür nach draußen.
Egal, die andere Pistole musste auch noch irgendwo sein. Außerdem gab es in ihrer Tasche noch jede Menge »Futter« für den Breischläger. Sie musste sie nur finden. Belle kletterte über Simeon hinweg und suchte mit den Füßen die andere Seite des Schlusswagens ab. Nichts. Jetzt gab es nur noch einen Ort, an dem die Tasche sein konnte: unter Simeon. Sie schob ihn beiseite und griff unter seinen Körper. Sofort ertastete sie den Stoff der Tasche und seufzte erleichtert auf. Sie zog die Tasche aus dem Wasser und machte den Reißverschluss auf. Da sie die Patronen mit Wachs versiegelt hatte, machte es nichts, dass sie nass geworden waren. Sie griff in die Tasche. Sie war leer. Ihre Finger suchten verzweifelt jeden Winkel ab. Schließlich stülpte sie das Innenfutter nach außen. Keine Magazine, keine Patronen.
Aber Simeon hatte die Munition doch in die Tasche gepackt … Simeon!
Ihr wurde übel. Sie klemmte sich die Taschenlampe zwischen die Zähne und suchte Simeons Taschen ab, obwohl sie genau wusste, dass sie nichts finden würde. Genau wie sie seine Patronen unbrauchbar gemacht hatte, hatte er ihre Munition entsorgt. Als sie sich ratlos aufrichtete, ließ Gott ihr einen kleinen Trost zukommen: Dort auf dem Bedienpult, das inzwischen fast ganz unter Wasser war, lag die zweite Glock. Belle stieg erneut über Simeon hinweg und schnappte sich die Waffe. Eine Glock schoss auch dann noch, wenn sie nass war. Sie schoss sogar unter Wasser. In das Magazin passten siebzehn Patronen. Da es die Waffe war, mit der sie zwei Schüsse auf Simeon abgefeuert hatte, mussten noch fünfzehn Patronen übrig sein. Das reichte hoffentlich, um mögliche weitere Angriffe abzuwehren. Im Breischläger war ebenfalls noch eine letzte Patrone – eins ihrer geheiligten Teilmantelgeschosse mit dem eingeritzten Kreuz. Sie würde Tommy nichts davon sagen, dass Simeon ihre Munition entfernt hatte, sonst dachte er noch, sie hätte sich nachlässig vorbereitet. Sie würde es ihm also verschweigen, hatte aber dennoch das Bedürfnis, mit ihm zu reden. Das Wasser stieg immer höher. Es war vielleicht die letzte Gelegenheit.
Sie zog das Walkie-Talkie aus der obersten Tasche ihrer Weste und drückte auf die Sprechtaste. Als Tommy sich meldete, klang er anders als sonst. Sie erkannte seine Stimme fast nicht wieder.
»Tommy? Was ist
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