9 Stunden Angst
einen glühenden Draht an den Hintern. Wie konnte ein winziger Nerv so große Schmerzen verursachen?
»Sie scheinen eines vergessen zu haben«, sagte Mark Hooper mit der weinerlichen, zischenden Stimme, die er sich in den letzten Stunden angewöhnt zu haben schien. »Wenn Denning seinen Plan zu Ende bringt, wird nie jemand davon erfahren.«
»Wenn Denning seinen Plan zu Ende bringt, sterben Hunderte Unschuldige.«
»Darauf haben wir zum jetzigen Zeitpunkt keinen Einfluss mehr.«
»Was ist mit Ed Mallory und seiner Idee, das Wasser im Tunnel durch eine Sprengung abzulassen?«
»Er hat komplett den Verstand verloren und versucht, irgendeinen alten Bombenleger von der IRA aufzutreiben.«
»Was ist, wenn es ihm tatsächlich gelingt, das Wasser aus dem Tunnel zu leiten?«
»Sie wissen genauso gut wie ich, dass er niemals eine Genehmigung dafür erhält, innerhalb des U-Bahn-Netzes einen Sprengsatz zu zünden.«
»Wie auch immer. Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir einen Spitzel eingesetzt haben und durch ihn eindeutig und nachweisbar Kenntnis von dem Anschlag hatten.«
»Nein, Howard, so sehe ich das nicht. Uns lag lediglich ein sehr grob bemessener Zeitrahmen vor, den wir so gut wie möglich interpretiert haben.«
»Wir hätten den Anschlag verhindern können, haben es jedoch vorgezogen, vor den Medien und der Öffentlichkeit die großen Helden zu spielen.«
»Nein, wir haben einfach nur auf die falsche Woche getippt, das ist alles.«
»Mark, wenn diese Sache herauskommt, müssen wir vorbereitet sein und die Vorwürfe zu handhaben wissen.«
»So etwas lässt sich nicht handhaben, Howard. So etwas lässt sich nur ganz tief vergraben. Es gibt keine belastenden Unterlagen. Simeon Fisher ist in Helmand desertiert, nach Großbritannien zurückgekehrt und nach Wales gezogen, wo er sich mit Cruor Christi eingelassen hat. Es gab nie einen Spitzel. Wir sind genauso schockiert über die heutigen Ereignisse wie alle anderen.«
»Ich weiß nicht recht, Mark.«
»Doch, Howard. Glauben Sie mir, Sie sehen das genauso.«
Howard wollte antworten, aber Mark Hooper hatte bereits aufgelegt.
14.03 Uhr
Zug Nummer 037 der Northern Line, erster Waggon
George fragte sich manchmal, wie es wohl wäre, berühmt zu sein. Sein ständiges Bedürfnis, ein Talent in sich zu entdecken, das sich fördern und entwickeln ließ, war im Grunde nichts anderes als die Sehnsucht nach Ruhm und Anerkennung, das war ihm insgeheim klar. Als die ersten Reality-Formate im Fernsehen ausgestrahlt worden waren, hatte er sich oft ausgemalt, wie es wohl wäre, urplötzlich im Rampenlicht zu stehen. Er hatte sich eingeredet, dass sein Interesse für dieses Thema auf intellektueller Neugier beruhte, nur um sich nicht eingestehen zu müssen, dass er tatsächlich zur Zielgruppe dieser zunehmend stumpfsinnigen Sendungen gehören könnte. Natürlich hätte er sich nie selbst für eine solche Sendung beworben, aber es war einzig ein gewisser Dünkel, der ihn davon abhielt, bei dem geschmacklosen Treiben mitzumachen. Bereits kurz nach Ausstrahlung der ersten Big Brother- Staffel reihte er sich lautstark in den Chor der höhnischen Stimmen ein, wohlwissend, dass sein Verhalten verlogen war. Schließlich verfolgte er eifrig jede Folge.
Was sagte das über ihn aus? Dass er sich heimlich nach Berühmtheit sehnte? Warum genügte es ihm nicht, so zu sein, wie er war? Vielleicht lag es daran, dass er sich schon sein ganzes Leben lang einsam fühlte. Seine Einsamkeit war nicht von der Sorte, die sich durch die Gesellschaft von Familienmitgliedern oder Freunden lindern ließ. Im Gegenteil, sie wurde dadurch noch verstärkt, weil er erkennen musste, dass selbst Familie und Freunde ihn nicht retten konnten. Er wusste, dass sein Flirt mit dem Ruhm auf dem Wunsch beruhte, die innere Einsamkeit zu bekämpfen, aber ihm war ebenso klar, dass er sich immer noch genauso einsam, vielleicht sogar noch einsamer gefühlt hätte, wäre ihm tatsächlich öffentliche Anerkennung zuteilgeworden. Er erkannte die eigene Einsamkeit auch bei vielen Mitmenschen wieder, hauptsächlich bei Männern. Männer waren im Grunde einsame Wölfe, trotz des Rudels, mit dem sich viele von ihnen umgaben.
Es war wirklich ironisch, dass er nun ausgerechnet als Fahrer des Unglückszugs traurige Berühmtheit erlangen sollte, als Person, die die Insassen des Zuges ungewollt in den Tod geführt hatte und genau wie sie qualvoll gestorben war. Berühmt für sein Sterben – na, großartig. Irgendwann
Weitere Kostenlose Bücher