9 Stunden Angst
Sie uns einfach, wo wir hinmüssen.«
»Meinen Berechnungen zufolge befindet sich die ideale Stelle etwa zweihundertzweiunddreißig Meter vom Schachteingang entfernt. Hier, nehmen Sie das.«
»Was ist das?«, fragte Ed.
»Ein Laser-Entfernungsmesser. Makler benutzen so etwas gerne. Man drückt auf den Knopf hier oben, und dann verrät einem das Gerät den Abstand zwischen dem derzeitigen Standort und der Wand oder Mauer, auf die man den Laserpunkt richtet.«
»Geben Sie es Conor, ich selbst kann es leider nicht benutzen.«
»Wir brauchen auch eine Taschenlampe«, sagte Conor.
»Hier, nehmen Sie meine«, bot der Stationsvorsteher an.
»Dann mal los«, gab Ed das Zeichen zum Aufbruch. Er griff nach Conors Arm, und gemeinsam traten sie durch die Tür und gingen eine steile Treppe hinunter. Bevor der Professor außer Hörweite war, rief ihm Ed noch die Frage zu, die ihm seit einigen Minuten Kopfzerbrechen bereitete. »Wie viel Zeit haben wir noch, was glauben Sie, Frank?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Fest steht, dass Sie sich beeilen müssen.«
Als sie am Fuß der Treppe angekommen waren, wurde die Luft merklich kühler. Ed lauschte Conors schwerem Atem und hörte, wie der Ire den Karton auf den Boden stellte.
»Das wird Ihnen jetzt nicht gefallen«, sagte Conor.
»Was ist los?«
»Wir werden es niemals rechtzeitig schaffen.«
14.47 Uhr
Zug Nummer 037 der Northern Line
Diejenigen Kinder, die groß genug waren, selbst den Kopf über Wasser zu halten, standen auf den Sitzen. Die kleineren wurden von Erwachsenen gestützt und klammerten sich an die Handläufe. Auch Adam hielt sich verzweifelt daran fest. Seine Arme schmerzten, und er bemühte sich, trotz seines großen Blutverlusts bei Bewusstsein zu bleiben. Der Blindenhund schwamm im Kreis, um sich über Wasser zu halten. Sein Besitzer, der ein Lied singen konnte von ewiger Dunkelheit, hatte die Leine durch den Handlauf gefädelt und hielt sie stramm, um die müden Beine seines Hundes ein wenig zu entlasten.
Im zweiten Waggon stand Maggie Wakeham auf einem Sitz, hielt sich am Handlauf fest und reckte den Kopf zum Scheitelpunkt der gewölbten Waggondecke, um in der schmalen verbleibenden Rinne zu atmen. Fast alle elektronischen Geräte waren mittlerweile ausgegangen, weil entweder der Akku leer war oder sie zu viel Wasser abbekommen hatten. Bis auf wenige kleine Lichtpunkte war es stockdunkel geworden. Maggie sah also nichts, hörte jedoch umso mehr, auch Dinge, die sie lieber nicht gehört hätte. Die Gebete, Schreie und Klagelaute waren verstummt. Was blieb, war das Plätschern und Keuchen von Menschen, die verzweifelt versuchten, am Leben zu bleiben, die wild um sich schlugen, um an die letzten Reste warmer, verbrauchter, sauerstoffarmer Luft zu kommen.
14.55 Uhr
U-Bahnhof Leicester Square, Versorgungsschacht
»Was meinen Sie? Was ist los?« Ed konnte die Panik in seiner Stimme nicht verbergen. Er hatte geglaubt, sich endlich eine realistische Chance erkämpft zu haben, die Passagiere des Zuges zu retten, und nun machten Conors Worte seine Zuversicht zunichte.
»Der Schacht ist völlig zugemüllt.«
»Mit was?«
»Regalsystemen, Aktenschränken, Bürokram.«
»Dann müssen wir das Zeug eben beiseiteräumen.«
»Ich wünschte, Sie könnten sehen, wie viel es ist.«
»Das wünschte ich auch.«
»Ach ja. Entschuldigung.«
»Kommen Sie, geben Sie mir den Karton, und fangen Sie an.«
Ed streckte die Hände aus, und Conor übergab ihm den Karton. Er war schwerer, als Ed erwartet hatte. Der Ire knurrte und fluchte vor sich hin, während er quietschend Metallregale über den Steinboden schob.
»Was meinen Sie, wie weit der Schacht vollgestellt ist?«, fragte Ed.
»Das lässt sich unmöglich sagen.«
»Conor, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie …«
»Halten Sie bloß die Klappe, verdammt noch mal!« Es schepperte, und Ed befürchtete schon, ein Metallregal sei umgekippt und habe Conor unter sich begraben. Doch Joyce fluchte nur laut, bevor er weiter metallene Hindernisse aus dem Weg schob. Das Bürozubehör schien schon eine ganze Weile in dem Schacht herumzustehen, denn Conor wirbelte bei seiner Arbeit immer wieder Staubwolken auf, die Ed zum Husten brachten.
»Okay. Bleiben Sie dicht hinter mir.«
Ed folgte Conor, während dieser sich weiter durch den Regaldschungel kämpfte. Obwohl er den Karton am Rücken des Iren abstützte, taten ihm die Arme weh. Die Luft war warm und stickig, sein Hemd klebte ihm am Körper. In
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