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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xiaolong Qiu
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Freund hat mir Törtchen aus Bohnenmehl mitgebracht – angeblich vom Fangshan in der Verbotenen Stadt.«
    »Dieses Restaurant auf einer Insel im Nordmeer serviert all jene Köstlichkeiten, die gegen Ende der Qing-Dynastie von der Palastküche für die Kaiserinwitwe Cixi zubereitet wurden«, erklärte Chen. »Der Name hat in Chinas kollektivem Unbewussten einen guten Klang. Er steht für das imperiale Erbe, ähnlich wie 95 Supreme Majesty .«
    »Keine Sorge, Chen. Ich bin kein Parteikader. Und die Törtchen sind von einem alten Freund«, entgegnete Peiqin.
    »Ich weiß, wer es ist«, warf Yu mit gespieltem Ernst ein. »Ein ehemaliger Verehrer von Peiqin aus der Zeit, als sie in der Kulturrevolution aufs Land verschickt waren. Er ist nur ein einfacher Angestellter in einem Pekinger Reisebüro, andernfalls müsste ich mir wohl ernsthaft Sorgen machen.«
    »Aber ich mache mir Sorgen«, sagte Chen und stand auf, während er eines der winzigen Törtchen in den Mund schob, die Peiqin mittlerweile auf den Tisch gezaubert hatte. »Wenn der Regierung begreiflicherweise daran gelegen ist, Zhous Tod als Selbstmord darzustellen, warum braucht sie mich dann als Berater?«
    »Ganz einfach, weil du schon viele Fälle von Korruption in hohen Kaderkreisen bearbeitet hast. Das wissen die Leute«, sagte Peiqin und packte dem Gast die restlichen Törtchen zum Mitnehmen ein, »das macht dich in ihren Augen glaubwürdig.«
    »Dich im Team zu haben gibt ihnen eine Art Rückendeckung«, bestätigte Yu.
    »Danke, Peiqin, danke, Yu, für das Essen, für die Törtchen und für die Vorlesung über Massenermittlungen«, sagte Chen und erhob sich. »Und jetzt brauche ich eure Rückendeckung für das, was ich zu tun gedenke.«

5
    Oberinspektor Chen fragte sich, was in seiner Eigenschaft als Berater von ihm erwartet wurde und was nicht. Ein altes Sprichwort besagte: Koche nie in eines anderen Küche , aber Hauptwachtmeister Wei schien sein Mitmischen nicht zu stören.
    Das Problem war, dass neben ihm selbst Wei nicht der einzige Koch in dieser Küche war. Jiang mischte ebenfalls mit, und zwar nach eigenem Rezept. Und dann war da noch das Team der Parteidisziplinarbehörde, auch wenn Liu nicht mehr ständig im Hotel präsent war.
    Nach dem Essen bei den Yus sah Chen seine Aufgabe in einem neuen Licht. Es konnte heikel werden, sollte die Stadtregierung direkt mit einer Stellungnahme zu Zhous Selbstmord an die Öffentlichkeit gehen. Die polizeilichen Ermittlungen waren also eine notwendige Farce, die unbedingt mit überzeugender Ernsthaftigkeit präsentiert werden musste. Seine Beratertätigkeit war also genau das, was Yu vermutet hatte: Rückendeckung.
    Demnach hatte Oberinspektor Chen keinen Grund zur Eile.
    Was die Sache zusätzlich verkomplizierte, waren die Meinungsverschiedenheiten zwischen Wei und Jiang. In seinem Gespräch mit dem halsstarrigen Polizeimeister hatte Chen den Eindruck gewonnen, dass sein Kollege Zhous Tod im Hotel eher als Mord betrachtete. Sein Insistieren musste Jiangs Unmut erregen, denn der wollte den Fall im Interesse der Stadtregierung auf jeden Fall als Selbstmord deklariert wissen.
    Chen hielt es für besser, Jiang fürs Erste nicht gegen sich aufzubringen. Dennoch musste er etwas unternehmen. Ein Besuch bei der Witwe Zhou wäre ein naheliegender Anfang.
    Die Zhous wohnten in Xujiahui, nur einen Block vom großen Orient-Einkaufszentrum entfernt. Für einen Parteikader wie Zhou war eine Vierzimmerwohnung in dieser Lage kein übertriebener Luxus – wenn man von seinem weiteren Immobilienbesitz absah.
    Frau Zhou öffnete ihm die Tür. Sie war Anfang vierzig und hatte eine stattliche Oberweite. Doch die Art, wie sie im lichtdurchfluteten Türrahmen lehnte, ließ bereits erahnen, dass sie in nicht allzu langer Zeit aus der Form geraten würde; eine üppige Blüte am Ende des Sommers. Sie trug eine weiße Bluse, eine weiße Hose und hatte ein Stück schwarze Seide an ihren Ärmel geheftet. Sie musterte Chen mit unverhohlener Feindseligkeit.
    »Wie oft wollen Sie denn noch hier herumspionieren?«, fuhr sie ihn an. »Sie sollten sich lieber bemühen, den wahren Verbrecher zu fassen.«
    Wieso hatte sie ihn als Polizisten erkannt, noch bevor er den Mund aufgemacht hatte? Sein Beruf schien an ihm zu haften, ganz gleich, ob er Uniform trug oder nicht.
    »Ich nehme an, dass mein Kollege bereits mit Ihnen gesprochen hat.«
    »Mehr als einer.« Und dann fügte sie noch harscher hinzu: »Es waren mehrere Gruppen, und jedes Mal haben

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