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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xiaolong Qiu
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und andere, die er nicht tut. Zum Beispiel schützt er immer seine Quellen, deshalb ist sein Forum auch so beliebt. Aber man weiß nie. Andere sagen, er hätte Verbindungen zur Regierung. Auch das wäre eine Erklärung, warum man ihn gewähren lässt.«
    »Und was noch?«
    »Was noch?«, wiederholte sie und nahm sich mit ihren Stäbchen ein Stück Rindfleisch in Austernsoße. »Er ist ein pietätvoller Sohn, genau wie Sie.«
    Wie konnte sie das wissen?
    Der unerwartete Trinkspruch einer Tante Peiqins ermöglichte es ihm, ihren Kommentar unbeantwortet zu lassen.
    »Ich möchte Ihnen und Ihrer schönen Journalistenfreundin danken, Parteisekretär Chen. Wenn die Bilder in der Wenhui erscheinen, werden sich Peiqins Eltern noch im Jenseits darüber freuen.«
    Eilends erhob Chen sich, das Glas in der Hand, wusste aber plötzlich nicht, was er sagen sollte oder ob hier überhaupt eine Erwiderung nötig war.
    Peiqin lächelte ihm über den Tisch hinweg entschuldigend zu. Yu kratzte sich verlegen am Kopf.
    Lianping nahm ihr Handy heraus, doch anstatt zu wählen, notierte sie etwas für ihn auf einer rosaroten Serviette, die sie ihm hinschob. Rasch setzte er sich wieder.
    »Hier ist Melongs Telefonnummer. Vielleicht möchten Sie ihn ja anrufen. Sagen Sie ihm, Sie sind ein Freund von mir.«
    »Danke.«
    Zum Glück nahm das Essen bald darauf ein Ende, ohne dass jemand eine weitere Gelegenheit für einen Trinkspruch bekommen hätte. Anschließend überquerte die Gesellschaft die Straße und ging zurück in den Tempel. Einige hatten Schachteln mit Essen dabei, die sie tunlichst in ihren Autos verstauten, bevor sie den Tempel betraten. Diesmal gingen sie nicht in den Raum für die Zeremonie zurück, sondern versammelten sich um das riesige bronzene Räucherfass in der Mitte des Hofs. Hier wurden die Opfergaben für die Toten verbrannt. Papiergeld und weitere symbolische Gaben gingen in Flammen auf, darunter auch eine detailgetreu nachgebildete Villa aus Pappmaché.
    »Sehen Sie sich die Adresse an«, flüsterte Lianping, die neben ihm stand.
    »Bingjiang Garden 123.«
    »Die teuerste Wohngegend von Shanghai.«
    »Damit die Toten im Jenseits den Luxus genießen«, sagte er, »der ihnen zu Lebzeiten versagt geblieben war. Ich glaube nicht, dass das Verbrennen symbolischer Opfergaben viel mit Buddhismus zu tun hat. Eher mit Konfuzianismus.«
    »Es gibt da etwas, was ich nie verstanden habe. Einerseits sagt Konfuzius: Der Edle spricht nicht über Geister und Dämonen . Aber zur gleichen Zeit fordert er die Menschen auf, den Ahnen Opfer darzubringen.«
    »Wir leben in Zeiten des spirituellen und ideologischen Vakuums, unsere Gesellschaft hat keine Religion, auf die sie zurückgreifen kann. Für die meisten Menschen existiert ausschließlich die Gegenwart. Solche Opfer gewähren ihnen daher eine Art Trost, auch wenn sie von unserer materialistischen Weltsicht geprägt sind.«
    Während er das sagte, beugte er sich vor, um besser sehen zu können. Zu seiner Überraschung entdeckte er unter den Opfergaben auch die Imitation einer Zigarettenschachtel.
    »Da, sehen Sie, 95 Supreme Majesty!«
    »Übrigens kursiert ein neues Bild mit diesen Zigaretten im Internet«, sagte Lianping, das Gesicht von den Flammen gerötet.
    »Ein weiteres Bild von Zhou?«
    »Nein, nicht direkt. Es zeigt einen anderen Parteifunktionär in einem Konferenzsaal. Bei solchen Anlässen werden stets teure Alkoholika und Zigaretten angeboten, für die der Staat bezahlt. Auf diesem Bild wurden die Zigaretten aus der Schachtel genommen und auf einen Unterteller gelegt. Und warum? Damit die Leute die Marke nicht erkennen. Das bedeutet, dass die Organisatoren solcher Konferenzen weitere Skandale fürchten. Aber natürlich ist das lächerlich. Kein Raucher trägt seine Zigaretten ohne Schachtel mit sich herum. Diese Verdunklungsstrategie hat nur neues Interesse geweckt und unter den Netzbürgern eine Lawine von sarkastischen Kommentaren ausgelöst.«
    Sie hatte natürlich recht. Auch er selbst würde nie Zigaretten ohne Packung auf ein Tellerchen legen. Und auch mit den Spesenangeboten bei derartigen Veranstaltungen kannte er sich aus. Zum Glück wechselte sie selbst gleich darauf das Thema.
    »Haben Sie schon gehört, dass man eine neue Bronzestatue von Konfuzius auf dem Platz des Himmlischen Friedens aufstellen will? Ich frage mich, ob die Leute dort dann auch Räucherstäbchen verbrennen.«
    »Das ist ja wirklich unmöglich, wenn man bedenkt, was dort passiert ist und wie

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