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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xiaolong Qiu
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Silberbarrens und in der Mitte einen roten Aufdruck. Sein verspätetes Mittagessen.
    Kaum hatte er den ersten Bissen der leicht süßen, klebrigen Masse im Mund, als Lianping anrief. Sie wollte ihn zu einem Konzert im Oriental Art Center in Pudong einladen.
    »Eine Karte kostet mehr als tausend Yuan, und man hat mir gleich zwei Pressekarten gegeben. Es wäre wirklich Verschwendung, wenn ich allein hinginge.«
    Ein verlockendes Angebot. Ein Besuch der Konzerthalle würde einen akzeptablen Vorwand für einen freien Abend bieten. Zu lange hatte er sich nun schon mit Spekulationen den Kopf zerbrochen, ohne dass etwas dabei herausgekommen war. Eine Abwechslung würde ihm helfen, seine Gedanken zu ordnen.
    Außerdem hatte Lianping ihm und Peiqin mit ihrem prompten Erscheinen und den Fotoaufnahmen im Tempel einen großen Dienst erwiesen, er konnte praktisch nicht nein sagen.
    »Das ist wunderbar. Ich werde da sein.«
    Als er aufgelegt hatte, stellte er fest, dass es draußen zu nieseln begonnen hatte. In der Ferne heulte eine Sirene. Er war selbst erstaunt über seine spontane Zusage.
    Schließlich wandte er sich wieder der unvollendeten E-Mail zu. Es war nicht so leicht, die Botschaft an den Genossen Zhao richtig zu formulieren, und er war froh, als er sie abgeschickt hatte. Endlich konnte er sich auf den liegengebliebenen Papierkram konzentrieren.
    Als er das nächste Mal auf die Uhr sah, war es vier. Und es regnete immer noch. Bei diesem Wetter würde er nicht so leicht ein Taxi bekommen, noch dazu im Feierabendverkehr.
    Pudong war eine Gegend, in der er sich nicht besonders gut auskannte. Er überlegte, ob er die Konzerthalle auch mit der U-Bahn erreichen konnte. Am besten machte er sich frühzeitig auf den Weg. Also packte er ein Taschenbuch und die Tüte mit den Herzenströstern in seine Tasche und verließ kurz nach vier das Präsidium.
    Er entschied sich gegen einen Dienstwagen. Das hieße, den Fahrer bis zum Ende des Konzerts warten zu lassen, ganz zu schweigen von den Klatschgeschichten, die dieser dann in Umlauf brächte. Die Fahrt mit der U-Bahn dauerte vierzig Minuten, weniger als er erwartet hatte. Als er wieder an die Oberfläche kam, hatte der Regen aufgehört, über den Horizont spannte sich die Andeutung eines Regenbogens.
    In Pudong hatte er jedes Mal das Gefühl, in einer anderen Stadt zu sein. Sein zwei Jahre alter Stadtplan half ihm da auch nicht weiter, viele der neuen Straßen waren dort noch gar nicht verzeichnet. Die dicht an dicht stehenden Wolkenkratzer verursachten ihm Beklemmungen. Er blickte zu den letzten Fetzen der grauen Regenwolken auf, die zwischen den ebenso grauen Stahl- und Betonfassaden dahinsegelten.
    Da er noch Zeit hatte, beschloss er, sich ein wenig umzusehen, und wanderte staunend durch diese ihm unbekannte Welt wie Großmutter Liu durch den Landschaftsgarten im Traum der Roten Kammer . Aber bald verlor er die Lust am ziellosen Herumschweifen, doch es blieb ihm immer noch eine Stunde bis zum Beginn des Konzerts.
    Plötzlich entdeckte er ein kleines Internetcafé in einem Behelfsbau neben einer Baustelle. Ursprünglich war es vielleicht die Kantine für die Bauarbeiter gewesen, und sobald das nächste Hochhaus fertiggestellt wäre, würde es abgerissen werden. Dort konnte er noch einmal nach seinen E-Mails sehen, bevor er sich auf den Weg zur Konzerthalle machte.
    Zu seinem Erstaunen bat ihn der junge Mann am Tresen, sich auszuweisen.
    »Ich möchte doch nur meine E-Mails lesen«, sagte Chen.
    »Eine neue Bestimmung, die erst vor kurzem in Kraft getreten ist. Wir haben strikte Anweisung von der Stadtregierung. Leider kann ich keine Ausnahmen machen.«
    »Aha.«
    Chen zeigte seinen Ausweis, und der junge Mann notierte die Ausweisnummer in einem zerschlissenen Buch, bevor er ihm eine Platznummer zuwies.
    »Einundfünfzig.«
    Wenn Chen an die Gespräche zurückdachte, die er im Rahmen der Ermittlungen mit Internetexperten geführt hatte, war diese Vorsichtsmaßnahme eigentlich zu erwarten gewesen. Damit wollte die Regierung die Internetkontrolle verschärfen. Und dass er nichts davon wusste, war ebenfalls kaum verwunderlich. Die Kontrolle des Internets war nicht Sache der Polizei.
    Chen ging die Reihen der Computer entlang und fand das Gerät auf einem der hinteren Tische. Er nahm Platz und startete den ihm zugewiesenen Rechner. Neben ihm saß ein Junge, der dampfende Rindfleischnudeln aus einer Fertigpackung in sich hineinschlang, ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen, auf dem

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