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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xiaolong Qiu
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hervorgebracht hatte. Einer der wichtigsten war Lu Xun, ein Schriftsteller, den Chen leidenschaftlich verehrte.
    Aber angesichts der neuen Entwicklungen im Fall Zhou konnte er sich einen solchen Ausflug eigentlich nicht erlauben.
    Er konzentrierte sich wieder auf die Informationen über Fang, als er einen weiteren Anruf erhielt – diesmal von Melong.
    »Ich habe etwas für Sie, Oberinspektor Chen. Wo sind Sie gerade?«
    »In der Yunnan Lu.«
    »Ah, auf der Gourmet-Meile. Das ist gar nicht weit. Ich kann in zehn Minuten dort sein. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    »In Ordnung, ich warte hier auf Sie.« Während Chen das sagte, fiel sein Blick auf ein Restaurantschild an der Kreuzung Ninghai Lu. »Ich bin im Nudelrestaurant Vier Jahreszeiten.«
    Als er seine Internetgebühr an der Kasse zahlen wollte, fiel sein Blick auf ein Gestell mit verschiedenen Prepaid-Handys. Da kam ihm ein Gedanke. Er wählte ein kleines rotes, zahlte und verließ das Internetcafé. Er überquerte die Straße und ging zu dem Restaurant hinüber. Überrascht stellte er fest, dass es ziemlich leer war. Er setzte sich an einen Ecktisch und studierte gerade die Speisenkarte, als Melong mit einem großen Umschlag in der Hand hereinkam.
    »Das ist eines der wenigen Lokale, das sich kaum verändert hat«, bemerkte er und setzte sich. »Eine ausgezeichnete Wahl.«
    Doch auch hier hatte man sich den modernen Zeiten angepasst, Chen fand Service und Angebot weitaus vielfältiger, als er es von früher in Erinnerung hatte. Der Kellner stellte ein Dutzend kleiner Schälchen auf den Tisch, die unterschiedliche frisch hergestellte Nudelbeilagen enthielten, darunter Streifen von Schweine-, Rind- und Lammfleisch, Fisch und Shrimps sowie verschiedene Gemüse. Dann brachte er zwei große Schalen mit Nudeln in dampfender Brühe, auf der eine dünne Ölschicht schwamm. Jetzt konnten sie die verschiedenen Beilagen in die Brühe geben, einen Moment warten und ihre aromatische Nudelsuppe genießen. Es waren die gleichen Über-die-Brücke-Nudeln, die Zhou als letztes Mahl verzehrt hatte.
    Kaum war der Kellner wieder in der Küche verschwunden, schob Melong den Umschlag über den Tisch. Er enthielt Fotos von Zhou und Fang, die sich im Büro küssten und umarmten. Eines zeigte Zhou mit offener Hose auf dem Schreibtisch sitzend, Fang, bis zur Taille entblößt, kniete vor ihm auf dem Teppich. Das lange Haar hing ihr über den nackten Rücken herab. Es gab noch weitere eindeutige Fotos, die die beiden gänzlich nackt in einem Bett beim Spiel von Wolken und Regen zeigten. Die Aufnahmen waren durchweg von schlechter Qualität und ziemlich unscharf.
    »Woher haben Sie die?«
    »Sie wissen ja inzwischen das eine oder andere über meine Arbeit, Oberinspektor Chen. Die Bilder stammen aus Dangs Computer.«
    »Aus Dangs Computer? Wie …«
    Chen brauchte die Antwort nicht abzuwarten. Er hatte ja mit Hauptwachtmeister Wei darüber diskutiert, dass der Verdächtige unter denjenigen zu suchen sei, die von einem Mord an Zhou profitieren würden. Dang stand ganz oben auf dieser Liste, und Chen hatte den Vizedirektor in dem Gespräch mit Melong kurz erwähnt. Die Beziehung zwischen Zhou und Fang verwunderte ihn nicht, doch die Bilder und ihre Herkunft ließen Dang in neuem Licht erscheinen. Man brauchte nicht besonders helle zu sein, um zu kombinieren, warum Dang solche Aufnahmen auf seinem Rechner hatte. Er hatte Material gegen Zhou gesammelt und offenbar heimlich eine Kamera installieren lassen.
    Solches Beweismaterial genügte, um Zhou, die Nummer eins, zugunsten von Dang, der Nummer zwei, aus dem Weg zu räumen. Dang hatte die Fotos in der Hinterhand gehabt, aber nachdem der Skandal um die 95 Supreme Majesty losgebrochen war, hatte er sie gar nicht mehr gebraucht.
    Aber vielleicht hatte er Zhou auch mit den Fotos erpresst.
    »Sie haben mir doch neulich erzählt, welche Leute Sie im Visier haben«, erklärte Melong, »daraufhin habe ich mir die Betreffenden einmal näher angesehen und bin auf diese Fotos gestoßen.«
    Mehr brauchte Melong nicht zu sagen. Der Oberinspektor nickte nur.
    Aber nun stellte sich eine weitere Frage. Sie betraf weniger die Fotos mit Fang als vielmehr Jiangs Panik wegen deren Verschwinden. Ein heimliches Techtelmechtel zwischen dem Chef und seiner kleinen Sekretärin war im modernen China keine Seltenheit. Jiang musste schon länger davon gewusst haben. Warum hatte er so panisch reagiert? Hatte er befürchtet, diese kruden Bilder würden an die

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