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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xiaolong Qiu
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jüngeren, attraktiveren Frauen umgeben hat.«
    »Zhou war ein sehr vorsichtiger Mann«, sagte Sheng. Die Falten auf seiner Stirn waren noch tiefer geworden. »Als hochrangiger Kader musste er um sein öffentliches Bild besorgt sein. Mit einer Sekretärin mittleren Alters war er vor Klatsch einigermaßen sicher. Was in Wirklichkeit zwischen dem Chef und seiner kleinen Sekretärin vorgefallen ist, wird man nie genau erfahren. Es stimmt schon, dass Fang nicht mehr die Jüngste ist, aber vielleicht hat sie gerade deshalb Forderungen an Zhou gestellt, um ihren Status zu sichern. Aus diesem Grund könnte sie belastendes Material gesammelt haben. Es wäre nicht das erste Mal, dass korrupte Kader in eine schmutzige Farce verwickelt werden.«
    Eine solche Aussage aus dem Mund eines Mitarbeiters der Inneren Sicherheit war ungewöhnlich.
    »Aber sie ist verschwunden«, gab Chen nickend zu bedenken.
    »Vielleicht will sie ihre Informationen zu einem guten Preis verkaufen.«
    »Das leuchtet ein.« Es wäre tatsächlich eine Möglichkeit. Dachte Sheng, was Fang betraf, in die gleiche Richtung wie Jiang? Chen konnte es nicht sagen.
    »Wir konzentrieren uns derzeit auf das Internetcafé und das Web-Forum. Die Sicherheitsbestimmungen sind neu, vermutlich gab es noch Schlupflöcher. Wir werden den Personalaufwand erhöhen müssen. Aber wenn wir alle Aktivitäten in der fraglichen Zeit überprüfen, werden wir den Schuldigen schon finden.«
    Offenbar stand Sheng unter beträchtlichem Druck, den Absender ausfindig zu machen und hart zu bestrafen, was wiederum eine abschreckende Wirkung auf die Internetszene haben sollte. Dort würde man es sich künftig zweimal überlegen, bevor man die »Stabilität Chinas« gefährdete.
    »Ach übrigens«, leitete Sheng einen weiteren Themenwechsel ein. »Haben Sie in letzter Zeit einmal etwas von der Zentralen Parteidisziplinarbehörde in Peking gehört?«
    Chen hatte diese Frage erwartet. Es war ein offenes Geheimnis, dass der Genosse Zhao, ehemaliger Sekretär der Disziplinarbehörde, Chen als eine Art Schützling unter seine Fittiche genommen hatte. Offenbar nahm man bei der Inneren Sicherheit an, dass Chen Näheres über den Machtkampf an der Spitze wusste. Vielleicht war das sogar der eigentliche Grund, warum man ihn einbestellt hatte.
    Einen Moment lang fühlte Chen dieselbe Frustration wie die Netzbürger dort draußen. Für die Innere Sicherheit hatten Maßnahmen zur »Beibehaltung der Stabilität« oberste Priorität. Der Tod von Zhou – oder der von Wei – war lediglich ein Kollateralschaden, der billigend in Kauf genommen wurde.
    Anstatt auf Shengs Frage einzugehen, verfiel Chen spontan in einen vertraulichen Tonfall. »Ich danke Ihnen für all die Informationen, Sheng. Ganz unter uns, ich meinerseits würde Ihnen raten, sich nicht in übereilte Aktivitäten zu stürzen.«
    »Ach ja?«
    »Dort drüben auf der anderen Straßenseite sehen Sie die Villa Moller. Ein ganz besonderes Hotel, wo derzeit zwei Untersuchungskommissionen untergebracht sind, Jiangs Team von der Shanghaier Stadtregierung und das Team der Zentralen Parteidisziplinarbehörde aus Peking. Vor einer Woche waren es sogar drei, die Gruppe von der Shanghaier Parteidisziplinarbehörde wurde inzwischen abgezogen. Ist das nicht seltsam?«
    »Allerdings …«
    »Und Sie, Leutnant Sheng, wurden ja ebenfalls von Peking geschickt, nicht wahr?« Hier machte Chen bewusst eine dramaturgische Pause. »Normalerweise wäre ein Fall wie der von Zhou längst abgeschlossen. Schon im Interesse der Partei. Warum zieht sich die Sache so hin?«
    Jetzt war es Sheng, der die Antwort verweigerte. Eine lastende Stille legte sich über den Raum.
    »Das Wasser ist zu tief, als dass wir uns kopfüber hineinstürzen sollten«, fuhr Chen fort. »Wie die Schachfiguren sind wir von anderen aufs Brett gestellt worden. Womöglich sind wir uns nicht einmal selbst bewusst, welche Rolle wir in diesem Spiel spielen, dazu fehlt uns der Überblick. Es sollte genügen, dass wir gewissenhaft unsere Arbeit tun. Dabei dürfen wir den übergeordneten Interessen natürlich nicht im Wege stehen.«
    »Ja, langsam begreife ich, was Sie sagen wollen, Oberinspektor Chen.«
    »Deshalb habe ich die Metapher mit dem blinden Mann auf dem blinden Pferd gebraucht. Ehrlich gesagt standen die Mitarbeiter der Inneren Sicherheit und ich in der Vergangenheit nicht immer auf gutem Fuß. Aber diesmal ist das hoffentlich anders. Sie sind anders, Leutnant Sheng. Das sieht man schon daran,

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