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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xiaolong Qiu
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nächsten Tag ins Büro kam, wollte er, dass ich eine Mülltüte für ihn wegbringe. Das war seltsam. Normalerweise macht das die Putzfrau. Er sagte, er würde an diesem Vormittag wichtige Gäste erwarten. Die sind dann auch tatsächlich aufgetaucht, noch bevor er sein Frühstück in der Bürokantine beendet hatte.«
    »Und wer war das?«
    »Jiang und sein Team von der Stadtregierung. Sie haben ihn gleich von der Kantine aus mitgenommen.«
    »Sie kamen also noch vor der Parteidisziplinarbehörde.«
    »Ja, völlig überraschend.«
    »Und was war mit der Mülltüte?«
    »Bevor ich sie wegwarf, habe ich hineingeschaut. Es war Asche darin.«
    »Er muss über Nacht Dokumente verbrannt haben. Sonst nichts?«
    »Da war nicht nur Asche … es waren auch kleine Plastikstückchen dabei.«
    »Wohin haben Sie die Tüte gebracht?«
    »In den großen Abfallcontainer vor dem Büro.«
    »Haben die Leute von der Stadtregierung das mitbekommen?«
    »Nein. Das ganze Büro war in Aufruhr. Niemand hat sich um den Müllcontainer gekümmert. Ich habe am nächsten Tag noch einmal nachgesehen, aber da war alles schon abgeholt.«
    »Nun«, sagte Chen mit einem Blick auf seine Armbanduhr. »Können Sie mir diese Plastikstückchen näher beschreiben?«
    »Es sah nach einem kaputten Kugelschreiber aus. Vielleicht hat er ihn in der Aufregung zerbrochen. Die Stücke waren hellrot. Ich kann mich allerdings nicht erinnern, einen Stift in dieser Farbe bei ihm gesehen zu haben. Damals habe ich mir nichts weiter dabei gedacht.«
    »Ist Ihnen in seinem Büro sonst noch etwas aufgefallen, das kaputt war oder fehlte?«
    »Nein.«
    »Sind Sie noch einmal in seinem Büro gewesen, nachdem er im Hotel interniert war?«
    »Nein, ich arbeite in einer kleinen Kabine davor. An jenem Morgen haben sie alles gründlich durchsucht. Vieles haben sie mitgenommen, auch die Computer und sämtliche Aktenordner. Dann wurde das Büro versiegelt. Meine Arbeitskabine haben sie ebenfalls durchwühlt. Eine Woche später kam dann noch einmal ein Trupp und hat alles durchforstet.«
    Die Suche an jenem ersten Morgen war zweifellos von Jiangs Team durchgeführt worden. Was immer ihnen dabei in die Hände gefallen war, Jiang hatte nichts davon verlauten lassen.
    »Eine Woche später? Sie meinen nach Zhous Tod?«
    »Ja.«
    Was hatten sie da noch gewollt? Offenbar waren sie weiterhin auf der Suche nach etwas. Fang hatte das bei dem Gespräch in Shaoxing angedeutet.
    Chen sah auf der Anzeige, dass das Guthaben auf seiner Telefonkarte gleich verbraucht war.
    »Entschuldigen Sie, Fang, meine Telefonkarte ist gleich leer. Ich muss Schluss machen. Ich rufe wieder an.«
    Am späten Nachmittag betrat Chen das Gebäude der Stadtregierung. Wie üblich zeigte er seinen Ausweis und ging durch die Kontrolle, ohne dass der Wachmann nach dem Anlass seines Besuches fragte. Die Ausweiskarte in der Hand trug Chen sich nur ins Besucherbuch ein.
    Doch anstatt den Aufzug zu Zhous Büro zu nehmen, begab der Oberinspektor sich in die kleine Kantine im Erdgeschoss, wo er sich mit einer Tasse Kaffee niederließ. Er schlug sein Notizbuch auf und überdachte die Ereignisse der vergangenen zwei Tage.
    Es war bereits halb sechs, als er sich erhob und den Aufzug in jenes Stockwerk nahm, in dem die Stadtentwicklungsbehörde untergebracht war. Im Korridor begegnete er niemandem. An der Bürotür des Direktors klebte nach wie vor ein erbrochenes Polizeisiegel.
    Einen Nachfolger für Zhou gab es noch nicht. Offenbar war die Stadtregierung vorsichtig geworden und ließ sich Zeit mit der Besetzung eines so wichtigen Postens.
    Chen blickte sich um, dann öffnete er leise die Tür und zog sie hinter sich wieder zu.
    Das Büro war nicht groß und wirkte ziemlich trostlos, jetzt wo die Computer verschwunden waren und Staub sich auf Tischen und Stühlen angesammelt hatte. Chen konnte kaum hoffen, hier auf die Schnelle noch etwas zu finden, da der Raum bereits mehrfach durchsucht worden war. Dennoch musste er es versuchen.
    Statt jeden Winkel zu durchstöbern, öffnete Chen die Tür zum angrenzenden Schlafzimmer, ließ sich in den lederbezogenen Drehstuhl dort fallen und versuchte sich vorzustellen, wie es Zhou an jenem Abend zumute gewesen sein musste.
    Immer wieder drängten sich ihm Bilder der tanzenden Fang auf. Eine bekannte dramatische Szene, allerdings implizierte das literarische Vorbild auch, dass die königliche Konkubine nach ihrem Tanz Selbstmord begehen würde.
    Die Schöne ging willentlich in den Tod, / denn

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