99 Särge: Roman (German Edition)
Themenwechsel irritierte sie.
»Heute Morgen habe ich zufällig den alten Xiang von der Purple City Group getroffen. Er steht offenbar am Rande des Ruins und hat mich um ein Notdarlehen gebeten. Bislang wissen nur wenige davon, also schreiben Sie bitte nichts in Ihrer Zeitung darüber, Lianping. Wussten Sie übrigens, wie Purple City angefangen hat? Mit dem Verkauf gefälschter Arzneimittel.«
Jetzt dämmerte es ihr. Als gutvernetzter Geschäftsmann hatte Gu vermutlich von der Beziehung zwischen ihr und Xiang erfahren. Normalerweise würde er solche Informationen nicht ausplaudern, aber nachdem Chen daneben saß, war das eine andere Sache. War Chen sich über den wahren Grund dieser Enthüllungen im Klaren? Vermutlich schon. Dabei benötigte der Oberinspektor derartige Hilfestellung eigentlich nicht. Offenbar hielt Gu dies für eine weitere Gelegenheit, Chen einen Gefallen zu tun.
Eine düstere Vorahnung ergriff Lianping. Xiang hatte ihr vermutlich nicht alles erzählt. Sein Heiratsantrag war aus heiterem Himmel gekommen. Nun beschlichen sie Zweifel. Waren die finanziellen Schwierigkeiten seiner Familie der Grund für den übereilten Antrag? Xiang wusste genau, dass er wesentlich schlechtere Karten bei ihr hätte, falls die Firma bankrottginge.
Wenn dem so war, musste sie unbedingt mehr von Gu darüber erfahren, doch dieser verabschiedete sich nun.
»Entschuldigung, ich rede immer zu viel, wenn ich Chen treffe. Ich habe mich wieder einmal hinreißen lassen. Ich muss zu einer Besprechung und lasse Sie beide jetzt besser allein. Soll ich irgendwelche speziellen Gerichte bringen lassen?«
»Ich habe nur eine Bitte, Gu«, entgegnete Chen. »Sagen Sie der Bedienung, sie soll uns nicht stören.«
»Aber natürlich. Wie wäre es mit ein paar kleinen Vorspeisen und einer Flasche französischem Champagner? Wenn Sie damit fertig sind, sagen Sie der Bedienung einfach Bescheid. Sie wird nicht unaufgefordert kommen.«
»Das wäre phantastisch. Und danke für alles.«
25
Als die beiden endlich allein waren, hing die Stille im Raum wie die Blasen im gekühlten Champagner. Chen wandte sich zum Fenster und betrachtete die Uferpromenade aus vielfarbigen Pflastersteinen, die sich in einem Bogen vor dem schimmernden Wasser dahinzog. Nach einer Weile wandte er sich Lianping zu und brach das Schweigen.
»Es tut mir leid, dass Gu uns unterbrochen hat. Manchmal ist er wirklich unmöglich, er redet wie ein Buch. Ich dachte, hier seien wir ungestört.«
»Sie müssen sich nicht entschuldigen. Gu ist ein einflussreicher Geschäftsmann. Er hat meine Anfragen wegen eines Interviews bislang immer abgelehnt, vielleicht wird jetzt etwas daraus.« Dann fügte sie noch hinzu: »Einer Freundin des Oberinspektors wird er eine solche Bitte kaum abschlagen.«
»Der Oberinspektor und seine reichen Freunde – das entbehrt nicht einer gewissen Ironie«, sagte Chen mit schiefem Lächeln. »Aber wenn Sie wirklich eines Tages darüber schreiben, müssen Sie den wahren Sachverhalt kennen. Es stimmt, dass Gu mich gebeten hat, den Projektplan für die New World zu übersetzen, und er hat mich fürstlich dafür entlohnt. Alles andere sollten Sie jedoch vergessen.«
»Er hat nach wie vor das Gefühl, in Ihrer Schuld zu stehen.«
»Mag sein, aber genauso wie ich ihm geholfen habe, hat er auch mich bei meiner Arbeit unterstützt. Ganz besonders bei der Überführung eines Serienmörders.«
»Sie sind eben alte Freunde und helfen einander.«
»So kann man es sagen«, räumte Chen ein und griff nach seiner Teeschale. »Aber vergessen wir Gu. Eigentlich wollte ich mich bei Ihnen dafür entschuldigen, dass ich mein Wort nicht gehalten habe.«
»Wie meinen Sie das?« Sie starrte ihn verwirrt an.
»Neulich in Shaoxing. Da hatte ich Ihnen eine Fahrt durch die nebelverhangenen Kanäle versprochen auf einem Boot mit schwarzer Plane, wie Lu Xun es in einer seiner Erzählungen beschreibt. Doch dazu ist es nicht gekommen.«
»Aber dafür müssen Sie sich doch nicht entschuldigen.«
»Als Gu hier hereinplatzte, erwähnten Sie gerade Xiangs Heiratsantrag. Gratulation! Ich wünsche Ihnen alles Gute, Lianping.« Sein Blick fiel auf den Ring an ihrem Finger, dann fuhr er fort: »An jenem Nachmittag in Shaoxing habe ich gehofft, dass wir vielleicht in Zukunft einmal unter der schwarzen Plane eines solchen Bootes sitzen würden, doch das wird jetzt nicht mehr möglich sein. Ich habe meine Einladung damals ernst gemeint, dann wurden wir durch einen unerwarteten
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