999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
Ochsentreiber?«
An den Tischen wurden Beleidigungen laut, und ein paar Männer erhoben sich mit geballten Fäusten. In diesem Moment krachte Fränzchen auf seinen Tisch, der ihn mit Getöse unter sich begrub. Der junge Knappe und der Soldat zogen den Betrunkenen unter dem umgestürzten Tisch hervor und schleiften ihn davon. Die Anwesenden betrachteten kopfschüttelnd die Szene und versenkten dann wieder ihre Löffel in einer nach Meeresbrise duftenden Fischsuppe, der Cacciucco , als sei nichts gewesen.
Auf dem Weg nach Paris
ab Montag, 13. August 1487
Graf Mirandola lernte Valdo und Dado Centesi, die beiden von Ferruccio angeheuerten Brüder aus Bologna, die ihn nach Paris begleiten sollten, zu schätzen. In Sarzana hatten sie ihn freundlich gezwungen, sein nervöses Ross gegen einen robusten Zelter zu tauschen. Er war zwar langsamer, lief aber in einem ruhigen Tölt, der es ihnen ermöglichte, bequem ein kontinuierliches Tempo zu halten, und somit größere Entfernungen zurückzulegen. Auf Nebenstraßen entlangreitend, erreichten sie am späten Abend das Fontana-Buona-Tal. In einem Gasthaus nahmen sie ein einfaches Mahl zu sich, und bevor sie sich schlafen legten, übten sie im Schein einer Fackel noch eine halbe Stunde den Schwertkampf.
»Wir sind Schüler von Filippo Vadi«, sagten sie nicht ohne Stolz, »und unser Waffenmeister hat uns immer geraten, keinen Tag ohne Exerzitien verstreichen zu lassen.«
Sie passierten Genua und auf Giovannis Bitte, die Territorien der Cibo zu meiden, ritten sie Richtung Albenga. Von dort erreichten sie die Ländereien der Savoyarden. Hier war der Weg sicherer. Den beiden Brüdern war die Gegend vertraut, denn sie hatten dort bereits in den Diensten einiger Adliger oder Kaufleute gestanden. Die Nacht verbrachten sie im Kartäuserkloster von Casotto, wo die Mönche sich freuten, dass sie edle Herren auf der Durchreise beherbergen konnten. Der Schlaf ereilte Giovanni sofort, und nach langer Zeit erschien ihm die Feuerkugel wieder. Doch diesmal sprach sie nicht zu ihm, und Giovanni wachte mit traurigen Vorahnungen auf. Paris war noch weit, und er betete zur Mutter, dass sie Ferruccio und Leonora schützen und Margherita ihm weiter nahestehen möge.
Um die Mittagszeit kamen sie vor den Mauern Cuneos an, wo auf dem Waffenplatz ein großer Jahrmarkt stattfand. Es gab Stände mit Tongeschirr und Stoffen, Waffen und Zaumzeug für Pferde und Ochsen und alle Arten von Werkzeugen, um die Erde zu bearbeiten.
Horden kleiner Jungen setzten sich in Fässer und ließen sich fröhlich umherrollen, während die anderen mit Ringen und Holzstäben wetteiferten. An allen Ecken verkauften Bäcker und Weinhändler ihre Waren und luden zum Probieren ein. Artisten zeigten ihre Künste – sie balancierten auf Holzstangen oder jonglierten mit Kugeln und Keulen, die sie hoch in die Luft warfen.
Giovanni und die zwei Knappen stiegen von ihren Pferden und banden sie neben den anderen fest; sofort bot sich ein rot gekleideter Zwerg mit Federkappe an, auf sie aufzupassen. Auf der einen Seite der Kathedrale hatte eine Schauspieltruppe ihre Bühne aufgebaut, und um sie herum hatte sich eine dichte Menschenmenge versammelt. Das laute Gelächter zog die drei Neuankömmlinge magisch an, und als sie sich einen Platz unter den Zuschauern erobert hatten, sahen sie auch den Grund dafür. Die beiden Hauptdarsteller stellten den jungen König von Frankreich und Papst Innozenz dar. Ein dritter, als Frau verkleideter Schausteller kam ab und zu hinter den Kulissen hervor, foppte die beiden lautstark und nahm Reißaus, sobald König und Papst mehr schlecht als recht versuchten, ihn zu fangen. Am Ende gelang es dem Papst, das vermeintliche Frauenzimmer zu fangen, und nachdem er dem König einen Tritt verpasst hatte, hob er dessen Kostüm hoch, zog ihm die Beinkleider herunter und versohlte ihm vor der ganzen Meute den Hintern. Giovanni, der darüber eher erstaunt als belustigt war, bemerkte, wie sich ihm ein Mann näherte.
»Ihr kommt aus der Fremde, nicht wahr?«, sprach dieser ihn freundlich an.
Giovanni ging sofort in Habachtstellung und erwiderte ausweichend: »Ja, mein Herr, wir kommen aus Florenz.«
»Ach, darum macht Ihr dieses Gesicht! In Florenz hätte Euer teurer Mönch, dieser Savonarola, dafür alle an den Galgen gebracht, die Schausteller wie die Gaffer.«
»Das mag sein. Andererseits haben die Zeiten sich aber zum Besseren gewendet – seit Karl dem Großen können die Narren sich doch unbesorgt
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