999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
machte eine tiefe und lange Verbeugung, was Giovannis Befürchtungen jedoch nicht linderte.
»Aus welchem Grund schickt mir Philipp seinen Kapitän?«, fragte er misstrauisch.
»Ich bin Soldat, Graf, und ich disputiere nicht über Befehle. Und das war ein Befehl.«
»Nun gut, Gérard di Rochefort, ich folge Euch. Aber lasst meine beiden Knappen gehen.«
Gerade wollte der Kapitän etwas entgegnen, als hinter ihnen lautes Geschrei ertönte. Die beiden Männer fuhren herum und sahen, wie Dado sich mit gezücktem Schwert auf den Reiter direkt hinter ihm stürzte. Mit einem einzigen Hieb durchtrennte er ihm fast komplett den Hals. Kurz bevor er seinen letzten Atemzug tat, gelang es dem Verwundeten jedoch, Dado sein Schwert in die Seite zu rammen.
Giovanni erstarrte vor Schreck, doch Valdo sprang von seinem Pferd und eilte auf Dado zu. Er schrie den Namen seines Bruders heraus und konnte ihn gerade noch auffangen, bevor dieser vom Sattel rutschte. Dado lächelte schwach, als er in den Armen seines Bruders lag und Valdo ihm zärtlich über seine Haare streichelte.
»Entschuldige … Valdo … ich wollte nicht … Der Graf Mirandola gefiel mir nur so gut«, flüsterte Dado schwach. Dann fiel sein Kopf mit einem Lächeln zurück, und er blieb regungslos liegen. Versteinert sah Giovanni zu, wie Valdo ihm in einer letzten Geste der Zuneigung die Augen schloss. In seinen eigenen Augen war nur noch Schmerz zu lesen.
»Es tut mir leid«, sagte Gérard di Rochefort, »aber es ist nicht unsere Schuld. Auch ich habe einen Mann verloren. Nun müssen wir aufbrechen. Eurem Knappen steht es frei zu gehen.«
»Kann ich mich von ihm verabschieden?«
» Bien sûr, Monsieur le Comte.«
Giovanni stieg von seinem Ross und näherte sich Valdo, dem die Tränen über die Wangen liefen. Er schien am Horizont hinter den Reitern einen Punkt zu fixieren.
»Valdo …«
»Es ist nicht Euer Fehler, Graf«, sagte Valdo und vermied es, seinen Herrn anzusehen.
»Dado hat mir das Lachen zurückgegeben, das mir vom Leben genommen wurde. Ich werde ihn nie vergessen.«
»Ich danke Euch, Graf.«
»Schau mich an, ich bitte dich.«
Valdo gehorchte, und Giovanni streifte seinen goldenen Chevalierring vom Ringfinger. In einem prächtigen Karneol war das Wappen seines Hauses eingraviert.
»Behalte ihn – in Erinnerung an mich. Solange ich lebe, kann derjenige, der mir diesen Ring zeigt, alles von mir verlangen.«
Valdo ließ es wortlos zu, dass Giovanni ihm den Ring auf den kleinen Finger steckte.
Der Graf nickte ihm ein letztes Mal zu und wandte sich dann an den Kapitän: »Ich bin bereit«, sagte er und stieg auf sein Pferd. »Wo befindet sich der Herzog?«
»Im Schloss von Vincennes. Auf uns wartet ein langer Ritt.«
Auf dem Weg nach Paris
Sonntag, 19. August 1487
Den katholischen Herrschern Ferdinand von Aragonien und Isabella von Kastilien wurde die Stadt Malaga dargeboten, nachdem mehr als fünfzehntausend der Bewohner mit dem Schwert gerichtet worden waren. Die wenigen Überlebenden wurden als Sklaven verkauft. Nach sechs Monaten stolzen Widerstands hatten sich die Malaganer endlich ergeben. Der Sieg wurde Gott und einem seiner Fürsprecher, dem Mönch Francesco di Paola, zugesprochen, der seinerzeit den Sieg prophezeit hatte. Und zwar just in jenem Moment, als die christliche Armee die Belagerung des letzten muselmanischen Bollwerks auf spanischer Erde aufgeben wollte, obwohl sie in der Überzahl war.
Am selben Tag ereilte Rom die Nachricht über die besiegten Mohren. Rodrigo Borgia verfasste eine Antwort, in der er verfügte, dass am Ort des Triumphs eine Kathedrale errichtet werden solle, der er den Ehrentitel Basilica minor verleihen wollte.
Auf den Straßen nach Paris feierten viele Kirchenglocken den Sieg. Ihr durchdringendes Läuten erreichte auch eine berittene Horde, deren Weg durch die Dörfer mit Raub, Plünderungen, Vergewaltigungen und Morden gepflastert war. Der schlimme Ruf, der ihnen vorauseilte, wurde von denjenigen, die ihnen noch nicht zum Opfer gefallen waren – es aber befürchteten –, noch weiter geschürt.
In Saint-Laurent de Mure erweckte ein gerade erst verlassenes Soldatenlager die Aufmerksamkeit ihres Anführers. Fränzchen Cibo wies seine Männer an zu halten und rief den Führer zu sich. Die Männer warfen sich erschöpft auf den Boden.
»Finde ein Gasthaus und frage nach, wer hier war. Diese Geschichte gefällt mir ganz und gar nicht«, befahl er.
Marzio da Pisa ging vorsichtig durch das Dorf.
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