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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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war er doch nur ein einfacher Läufer, der dazu verdammt war, immer nur ein Quadrat nach dem anderen zu überwinden?
    »Nein«, sagte er, »ich habe ihn noch nie gesehen.«
    Fränzchen versuchte, sich auf ihn zu stürzen, aber ein Tritt Rocheforts beförderte ihn zurück in den Staub.
    »Ich wusste es«, sagte der Kapitän und zog sein Schwert. Der Gefangene versuchte verzweifelt, auf den Knien zu flüchten.
    »Nichtsdestotrotz glaube ich, dass er die Wahrheit sagt«, fuhr Giovanni, an Rochefort gewandt, fort. »Und dass ich der Grund für den Kampf war. Er machte Jagd auf mich.«
    Rochefort sah von de Mola zu Cibo und versuchte das Band zu erkennen, das die beiden Männer verband. Dann erinnerte er sich daran, dass er Soldat war und seinen Herrn nie enttäuscht hatte.
    »Wollt Ihr ihn vor einem Gericht anklagen, Graf?«, fragte er sachlich.
    »Nein, Kapitän, ich möchte nur baldmöglichst mit dem Herzog konferieren.«
    »Nun gut, aber Ihr habt noch Zeit, Eure Meinung zu ändern. Holt ihn hoch und bindet ihn auf dem Pferd fest. Dieser… Bandit kommt mit uns, wer er auch sein mag. Der Herzog wird entscheiden, was mit ihm geschehen soll.«
    Die gefallenen Ritter wurden entlang des Weges begraben und ihre Ruhestätte mit notdürftig gebauten Kreuzen versehen, auf denen ihr Name geschrieben war. Die Rotte der Angreifer warfen sie jedoch in ein Massengrab, auf dem sie ein Kreuz mit der Inschrift ›italienische Banditen‹ aufstellten.
    Fränzchen, dreckig, mit zerrissener Kleidung und blutend, konnte sich mit auf dem Rücken gebundenen Händen und angeleinten Zügeln kaum auf dem Pferdrücken halten. Um sich abzulenken, dachte er sich alle möglichen Arten der Vergeltung aus, mit denen er sich für die Tritte des Kapitäns und die Demütigungen des Grafen rächen würde. Er sah sie bereits als Skelette von den Zinnen der Engelsburg baumeln. Diese Vorstellung verschaffte ihm wenigstens zeitweise Befriedigung.

Vincennes, Florenz, Rom
    ab Mittwoch, 3. Oktober 1487
     
    Seit fast einem Monat befand sich Giovanni Pico, Herr von Mirandola und Graf zu Concordia, in Gefangenschaft des Herzogs Philipp von Bresse. Er hatte zwar einen Pagen, der sich um seine Belange kümmerte, und bewohnte, wenn man es denn so nennen konnte, das gesamte obere Stockwerk des mächtigen Burgturms der Festung von Vincennes – aber es war ihm nicht erlaubt, seine Räume zu verlassen. Von den Fenstern aus konnte Giovanni Soldaten und Familien beobachten, wie sie ihren täglichen Aufgaben nachgingen: Dem Wachwechsel, dem Transport von Lebensmitteln und Waren aller Art, militärischen Übungen und selten die eine oder andere Festivität, von deren Musik er außer ein paar Tönen oder einer Schwingung kaum etwas hören konnte. Bei besonders klarem Wetter schweifte sein Blick zu den weit entfernten Dächern von Paris. Nur in ganz wenigen Momenten war es ihm erlaubt worden, auf der offenen Terrasse zu wandeln, von der man eine fantastische, abwechslungsreiche Aussicht genießen konnte: Der bunte Blätterwald, die grauen Steinhäuser und der rote Sonnenuntergang; das helle Blau des Himmels und das dunklere der Nacht, das Weiß der Festungsmauern.
    Herzog Philipp hatte sich ihm weder gezeigt noch ihm irgendeine Nachricht zukommen lassen. Giovanni hingegen hatte zwei Briefe verfasst – obwohl er wusste, dass sie bestimmt zensiert würden. Einen für Ferruccio und Leonora, die in seiner Villa in Fiesole weilten, und einen an seinen Bankier Pitti, einen Rivalen der de’ Medici. Im ersteren beschrieb er heiter und unverbindlich seine Situation, verschlüsselte aber die eine oder andere Information zu seiner konkreten Lage. Ferruccio würde die Botschaft sicherlich zu entschlüsseln wissen. Im zweiten Brief wies er seinen Bankier an, ihm einen Vorschuss auf die nächsten Ernteerträge seiner Ländereien zu gewähren, damit er ›die anfallenden Ausgaben im Rahmen seines Aufenthaltes im Schloss von Vincennes tätigen könne‹ – wohl wissend, dass Pitti sich sofort mit diesem Schreiben brüsten würde. Lorenzo de’ Medici würde davon hören und so erfahren, dass hier sonderbare Dinge vor sich gingen.
    Von Fränzchen hatte Giovanni nichts mehr gehört. Die gesamte Reise über war er gefesselt gewesen und des Öfteren verhöhnt und ausgelacht worden. Er hatte es jedoch vorgezogen, keinerlei Reaktion zu zeigen. Als die ersten zwei Wochen des angstvollen Wartens vorbei waren, hatte Giovanni wieder mit dem Schreiben begonnen. Ihm fehlten die Texte und die

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