999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
immer noch da, aber auf dem Schild stand nun ein anderer Name: Accademia dei Libri . Als Zugel den Laden betrat, roch er sofort die altertümlichen Ausdünstungen des Pergaments und den säuerlichen Geruch von Leim und Harzen.
»Guten Tag.«
Ein Mann mit Zwicker und kurz geschorenem Haar kam auf ihn zu. Es war kein bekanntes Gesicht.
»Ich möchte mit Herrn de Mola sprechen.«
»Oh, das tut mir leid, Doktor de Mola betreut dieses Geschäft nicht mehr. Es gibt einen neuen Besitzer.«
»Ach, und Herr Volpe? Gibt es ihn noch?«
»Nein, tut mir leid. Um ehrlich zu sein, kenne ich ihn gar nicht.«
Zugel überlegte kurz. Alle beide verschwunden. Damit hatte er nicht gerechnet. Aber die Antwort auf seine Fragen ließ nicht lange auf sich warten.
»Hier kommt immer noch Post für Doktor de Mola an, und sie wird regelmäßig abgeholt. Wenn Sie möchten, dann können Sie ihm eine Nachricht hinterlassen«, bot der Fremde ihm dienstfertig an.
»Danke.« Zugel atmete erleichtert auf. Das war die Idee, die ihm gefehlt hatte. »Sie sind sehr freundlich.«
»Nehmen Sie Platz. In diesem Laden ist es nicht sehr bequem, aber an Schreibutensilien und Papier fehlt es bestimmt nicht.«
Als er fertig geschrieben hatte, klebte Zugel den Brief sorgfältig zu und verließ den Laden. Ein unangenehm heftiger Sprühregen rann ihm wie Tränen über sein Gesicht und hinter seinem Schädel hinab bis in den Hemdkragen. In der Straßenbahn versuchte er, sich mit dem Ärmel seines Mantels abzutrocknen, aber schwarzes Leder war dafür nicht sonderlich gut geeignet. Er musste unbedingt diesen Mantel loswerden, der ihn als Deutschen oder als Italiener, der seinen großen Bruder nachäffte, auswies: Die abweisenden oder neidischen Blicke sagten alles. Vielleicht würde es aber auch schon reichen, den Reichsadler mit dem Hakenkreuz gegen die amerikanischen Adler auszutauschen. Wenn er die deutsche Krone und das Hakenkreuz entfernen würde, würden die Raubvögel gar nicht so unterschiedlich aussehen.
Als der Deutsche den Laden verlassen hatte, führte der Brillenträger sofort ein Telefongespräch.
»Er war hier und hat einen Brief für Giacomo dagelassen.«
»Öffne ihn! Was steht drin?«
Lange sagten die beiden Männer nichts, dann ergriff der Brillenträger das Wort.
»Er hat das Buch, Gabriel, und er will verhandeln. Er hat eine Adresse angegeben.«
»Hatte ich nicht gesagt, dass ihr die Hoffnung nicht aufgeben sollt? Ich werde Giacomo Bescheid sagen. Jetzt muss er wieder ran.«
Im Laden spielte das Radio abwechselnd Liebeslieder und vehemente Reden, die die Verbrechen der Juden denunzierten. Alle sagten mehr oder weniger unverblümt, dass es mit jeder Geduld einmal zu Ende gehe und dass das Maß nun voll sei. Viele Familien fragten sich, was sie falsch gemacht hatten. Andere wiederum wussten, dass Hasstiraden auf die Juden eine uralte Sache waren, die in den letzten Jahrhunderten regelmäßig aus der Unterwelt emporschwappte. In der Accademia dei Georgofili zweifelte im verschworenen Kreis von Omega mit Sicherheit niemand mehr daran, dass hier etwas vorbereitet wurde, das bald die ganze Welt verdunkeln würde.
Auf dem Weg nach Lyon
Freitag, 17. August 1487
und die folgenden Tage
Von hier aus können wir zwei Wege einschlagen, Eure Eminenz«, sagte Marzio da Pisa. »Ich würde über den Buco del Viso reiten oder über die Delfino-Burg.«
»Welcher Weg ist der schnellere?«, fragte Fränzchen.
Sie befanden sich in der Nähe der Burg Reynaud, wo sie gehofft hatten, ihre mittlerweile vollkommen erschöpften Pferde wechseln zu können, aber von der Festung waren nur noch ein paar Ruinen übrig geblieben, aus denen ein paar Rauchschwaden stiegen. Das verkohlte Holz roch nach verbranntem Fett.
»Ich würde den Buco del Viso nehmen, aber wir sind zu zahlreich und verfügen nicht über die richtigen Pferde.«
»Und nun?«
Sein neuer Herr zahlte gut, und wenn da nicht der Extrasold wäre, der ihm in Aussicht gestellt wurde, hätte er alles getan, damit er die Flüchtenden nicht einholen würde, denn sein neuer Herr war rechthaberisch und tückisch.
»Dann rate ich, den Weg über die Delfino-Burg einzuschlagen. Er ist zwar länger, aber in dieser Jahreszeit kommt man leichter voran. Außerdem liegt am Fuße der Felsen eine Poststation. Dort könnten wir die Pferde wechseln.«
»Ich kann dir nur vertrauen, Marzio, aber lass dir sagen: Wenn du dich irrst, dann wirst du mit Peitschenhieben bezahlt werden!«
»Ich irre nicht, mein
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