999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
Obolus mit irgendeiner jungen Dirne durchzubringen gedachte, weckte der Bischof seinen Sekretär und gab ihm exakte Anweisungen, die noch in der gleichen Nacht zu befolgen waren.
* * *
Eucharius erwartete niemanden mehr. Nachdem er die zwei letzten Helfer nach Hause geschickt hatte, verschloss er die Werkstatt. Er lag bereits im Bett, als ihn mächtige Schläge an sein Tor aufschreckten. Hastig stürzte er hinunter, öffnete und verbeugte sich wieder und wieder. Seine Unterwürfigkeit nutzte ihm jedoch nicht: Sosehr Eucharius auch betete, weinte und wehleidig seine schlechte Gesundheit beklagte – schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als niedergeschlagen die Vorladung zu akzeptieren: Noch am selben Tag, dessen Morgenröte sich eben ankündigte, würde der Kardinalvikar ihn in der Sankt-Peters-Basilika verhören. Die päpstliche Missive befahl ihm, »dass er die Beweise seiner Unschuld selbst vorlegen möge«.
Die Ironie der Situation war Eucharius schmerzlich bewusst. Er fühlte sich wie ein zum Tode Verurteilter, der seinen eigenen Strick zur Hinrichtung mitbringen musste. Er ging wieder ins Bett, aber nur um sein Weib zu beruhigen. Als er ihre regelmäßigen Atemzüge vernahm, stand er auf und stieg hinab in die Werkstatt.
Unter einem Stapel von Blättern holte er eine Kopie seiner letzten Anstrengung hervor. Normalerweise machte er es immer so: Er behielt eine Kopie für sich, einerseits weil er stolz auf seine geleistete Arbeit war, anderseits aus Vorsicht und als Beweis für den Fall, dass er nicht bezahlt werden würde. Dieses Mal aber war es anders: Seine Hände zitterten, als sie das Buch hielten. Oh, der Graf mit seinem Wahnsinn: Ein Konzil der Weisen aller Religionen einzuberufen, ausgerechnet in Rom, ohne Erlaubnis des Papstes! Nicht einmal der letzte byzantinische Kaiser hatte so etwas gewagt. Und natürlich wussten in Rom bereits alle Bescheid, noch bevor die ersten Exemplare überhaupt in Umlauf gebracht worden waren. Und – wie sollte es anders ein – hatten sie natürlich als Erstes ihn, den jüdischen Buchdrucker, geholt.
Er hatte alles genau vor Augen: Sie würden seine Werkstatt schließen und ihn in den Kerker der Engelsburg werfen. Dort würden sie ihn foltern und der schlimmsten Schandtaten bezichtigen – und er würde alles gestehen: Dass er die Hostie entweiht, auf das Kreuz gespuckt und an Ostern das Blut unschuldiger Kinder vergossen hätte. Kurzum: Es würde ihm genau wie seinem Bruder ergehen, ja wahrscheinlich noch schlimmer – sie würden ihn bei lebendigem Leibe verbrennen oder in irgendeiner Kloake verschwinden lassen, ohne die Gnade eines Begräbnisses.
Er war verloren, das begriff er in diesem Moment; sein Weib und seine Kinder würden mit Schimpf und Schande aus Rom verjagt werden – und irgendwo in der Einsamkeit verhungern. Denn man würde ihm und den Seinen nichts lassen, sobald sie ihn in ihren Fängen hatten: Das, was nicht verbrannte, würde beschlagnahmt werden. Welcher grausame und doch göttliche Plan, fragte Eucharius sich bitter, konnte Raub und Mord in Seinem Namen wollen? Und trotzdem wurden seinen Häschern tausend Jahre Glorie und ewiges Heil versprochen, wenn sie im Namen ihres Gottes meuchelten. Was für Juden wie ihn auf Erden und im Himmel blieb, war nur noch die Hölle.
»Warum, Graf? Warum bin ich es, der zahlen muss? Der ich Euch treu zu Diensten war? Für meine Fertigkeit als Buchdrucker? Jahwe, oh Jahwe, Du hast mich verlassen, und das geschieht mir recht, weil ich Dich verraten habe. Vergib mir, Jahwe! Rette mich, Deinen demütigen Diener. Und du, Graf, der du so mit Ihm vertraut bis, lege ein gutes Wort für mich ein!«
Tränen begannen über seine faltigen Wangen zu rinnen, bis aus Verzweiflung schließlich Wut wurde. Er warf das Buch wütend zu Boden und spuckte darauf. Dann hob er es wieder auf und stieß zornig die Ofentür auf. Bevor er den Folianten den Flammen übergab, verharrte er jedoch einen Augenblick und blickte unbeweglich ins Feuer. Es würde ihm nicht helfen, es zu verbrennen. Ganz im Gegenteil, es zu vernichten würde alles nur noch schlimmer machen. Sein Schicksal war besiegelt, so oder so. Eucharius fühlte sich wie ein Judas, der seinen Herrn verraten hatte. Während die ersten Strahlen der Morgenröte durch die Türritzen drangen, wünschte er sich, dass dem Grafen das gleiche Schicksal wie Christus zuteilwerden würde.
Rom
Freitag, 8. Dezember 1486
Eucharius Silber Franck zögerte einen Augenblick, bevor
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