999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
sagtest du, hieß der gute Christ?«
»Eucharius Silber Franck, er hat eine Werkstatt …«
»Von wegen Christ! Ich kenne ihn, er ist der jüdische Buchdrucker!«
»Er ist schon vor langer Zeit konvertiert, Eure Heiligkeit, konvertiert, und sehr fromm, sagt man mir.«
»Konvertiert oder nicht, ein Jude bleibt Jude. Merk dir das!«
»Eure Heiligkeit, ich bitte Euch …«
»Wer als guter Christ lebt, muss nicht falsche Frömmigkeit heucheln.«
»Ich habe verstanden. Auf jeden Fall können wir die Verbreitung des Buches noch rechtzeitig verhindern.«
Papst Innozenz runzelte die Stirn und blickte seinem Kardinalvikar direkt in die Augen. Kardinal Sansoni hielt seinem Blick stand. Es war noch nicht zu spät, aber man musste schnell handeln. Obwohl er den brillanten Geist des jungen Mirandola schätzte, hatte der Graf diesmal über die Stränge geschlagen, und der Papst konnte diese Arroganz nicht ungestraft durchgehen lassen. Das verstand sogar Sansoni. Niemand, nicht einmal Mirandola konnte es sich erlauben, theologische Behauptungen ohne die Erlaubnis Seiner Heiligkeit zu veröffentlichen.
»Sehr gut, Sansoni, und wie gedenkst du vorzugehen?«
»Ich denke, für den Moment ist es ausreichend, eine Gelehrtenkommission einzuberufen, die den Text untersuchen wird und die dann …«
»Basta, das reicht schon. Treffe die Vorkehrungen, wie du sie für richtig hältst. Aber mach schnell. Du hast meinen Segen. Meine einzige Bedingung ist, dass Paolo Cortesi Mitglied dieser Kommission wird.«
»Er ist aber ein Bewunderer des Grafen von Mirandola.«
»Das spielt keine Rolle; ich will keine Verurteilung, ich will eine Untersuchung, verstanden?«
»Ja, Eure Heiligkeit, aber leider ... war das noch nicht alles.«
»Was verheimlichst du mir, mein Kardinalvikar?«
»Dieser Jude, Eucharius, hat verlauten lassen, dass der Graf ein Konzil der Weisen einberufen will.«
»Waaaaas?«, schrie der Papst ungehalten. »Hüte deine Zunge, Raffaele Riario Sansoni e Galeotti«, fuhr er drohend fort, »oder ich werde die Freude haben, dich von den Zinnen der Engelsburg baumeln zu sehen und die Krähen zu beobachten, wie sie das Fleisch von deinen Knochen schälen!«
Der Prälat wurde immer kleinlauter: Er wusste, dass die Situation heikel war, in der er sich befand, denn der Zorn des Papstes war gefährlich. Um die Situation zu retten, war es angebracht, ihm Wort für Wort genau das zu erzählen, was ihm der Buchdrucker anvertraut hatte. So würde er den Zorn und die Rachegelüste von Innozenz von sich ablenken – auf Mirandola oder den Buchdrucker.
Und das tat Sansoni: Er distanzierte sich von dem Juden und bürdete ihm ganz allein die Verantwortung für den Wahrheitsgehalt der Geschehnisse auf. Während der Erzählung wechselte die Gesichtsfarbe des Papstes von puterrot bis kreidebleich. Am Schluss schien Seine Heiligkeit am Rande ihrer Kräfte zu sein.
»Das ist … Häresie«, flüsterte Innozenz.
»Das befürchte ich auch, Eure Heiligkeit«, sagte Sansoni. Er war hochzufrieden mit sich und damit, wie er die Tatsachen dargestellt hatte.
Ihm war der junge Adlige, den alle in Paris, Bologna, Rom und vor allem in Florenz vergötterten, noch nie sympathisch gewesen. Ob es an dessen Schönheit lag, an seiner Intelligenz oder seinem edlen Stand aus dem Hochadel, wusste der Kardinalvikar nicht zu sagen. Diesmal konnte der Graf seinem Schicksal nicht entrinnen, und vielleicht könnte er sogar einen finanziellen Vorteil aus der Geschichte ziehen, überlegte Sansoni, denn der Graf war ein Freund des Hauptschuldners der Kirche, des mächtigen Lorenzo de’ Medici.
»Und wann soll dieses Konzil stattfinden?«, erkundigte sich der Papst.
»Im Februar, Eure Heiligkeit. Es scheint, dass der Graf von Mirandola mit den enormen Einkünften aus seinen Ländereien die Reise und den Aufenthalt aller Eingeladenen bestreiten wird.«
»Juden, Muslime, Häretiker … alle hier in Rom, vor meiner Nase … – vor der Nase des Papstes! Was wird man über mich sagen?«
»Eucharius gibt an, dass der Graf davon überzeugt war, es würde Euch gefallen.«
»Dieses verdammte Konzil brauche ich wie der Hals einen Kropf«, zischte Innozenz mit einem gezwungenen Lächeln.
Der Kardinalvikar atmete innerlich auf. Die Wut Seiner Heiligkeit war verflogen und er aus dem Schneider. Der Graf von Mirandola hingegen war verloren – es sei denn, seine Conclusiones bestünden aus nichts anderem als einer Lobpreisung des Papstes und seiner Politik. Das war jedoch
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