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999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)

Titel: 999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Adolfo Martigli
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alchimistische Prinzip dar oder wie immer Ihr es nennen wollt. Es ist das Geheimnis des Alchimisten Nicholas Flamel. Es ist das, was jeder Priester, Bischof oder Kardinal mit Inbrunst brennen sehen möchte. Der Stern steht für den Sieg der Erkenntnis – wie beim Urweib Eva, die den Apfel vom Baum der Erkenntnis pflückte.«
    »Aber das ist der Sündenfall, Giovanni!«
    »Denkt nach, teurer Freund. Als Ihr ein Knabe wart, hat Euch Euer Magister dafür bestraft, dass Ihr zu viel gelesen und studiert habt? Und ich frage Euch weiter: Kann ein Vater oder eine Mutter einen Sohn bestrafen, weil er danach strebt, das Ebenbild seiner Eltern zu werden? Wie kann Gott wollen, dass seine Kreaturen nicht nach seinem Ebenbild und also nach Erkenntnis streben? Versteht Ihr denn immer noch nicht? Warum ist dies alles geschehen? Warum sind wir vom Licht in die Dunkelheit geraten?«
    Girolamo war immer unruhiger geworden, denn umso besser er die bestechende Logik Giovannis verstand, desto größer wurden die Sorgen, die er sich um das Schicksal seines Freundes machte.
    »Für all das gibt es eine Erklärung«, fuhr Giovanni fort, »und Ihr kennt sie auch. Wenn ich Euch davon überzeugen kann, dass Wissen Sünde ist, habe ich solche Macht über Euch, dass ich Euch in Unwissenheit halten kann. Und damit werde ich auf immer Macht über Euch haben. Jeder gewalttätige, unrechtmäßige, grausame, kämpferische oder einzige Gott wurde von niemand anderem als einem klugen Menschen erschaffen, der seine Missetaten rechtfertigen wollte. Bedenkt doch, dass es Gott ist, der die Natur des Menschen widerspiegelt und nicht umgekehrt. Darum, und nur aus diesem Grunde, existieren sie alle, der Christengott, Allah oder Jahwe. Sie wurden erfunden, um Kriege, Tod und Unterdrückung zu rechtfertigen. Aber der Funke der Wahrheit ist nicht tot, mein Freund. Über die Jahrhunderte hinweg hatte sie durch viele kleine Zeichen, Schriften, Überlieferungen und Traditionen – wie auch durch diesen Teppich – weiterhin Bestand, und deshalb besteht noch Hoffnung für uns Menschen.«
    »Haltet ein, ich bitte Euch, mir dreht sich alles im Kopf.«
    »In Ordnung, kehren wir also zum Teppich und zur Unwissenheit unseres großzügigen Gastgebers zurück. Wären wir in Spanien, würden wir nur aufgrund der Tatsache, diesen Teppich unser Eigen zu nennen, in die Hände der Torquameda-Mönche fallen.«
    »Ihr übertreibt!«
    »Nein, durchaus nicht. Wobei ich anmerken möchte, dass der Teppich nur aufgrund seines Wertes beschlagnahmt wurde – und ganz bestimmt nicht wegen seiner vermeintlich ketzerischen Bedeutung.«
    Girolamo lächelte über diese Worte und über die außergewöhnliche Fähigkeit Giovannis, ihm selbst in den ernsthaftesten Situationen ein Lächeln abzuringen. Wortklaubereien, dachte er und schüttelte den Kopf. Für Giovanni schien alles nur ein Spiel zu sein, und Spielen war die einzig wirklich ernsthafte Sache, die es seiner Meinung nach auf der Welt gab.
    »Erklärt mir das Geheimnis, das sich in diesem Teppichmuster verbirgt.«
    »Es gibt kein Geheimnis. In der Mitte finden wir die Erklärung für alles: Schaut, Girolamo. Das ist der Baum der Erkenntnis, der antike Baum des Lebens. Und das Gefäß, in dem er steckt, ist das Weib, die Mutter, die göttliche Urmutter von allem.« Giovanni packte seinen Freund aufgeregt an den Armen. »Die Hände, die diesen Teppich schufen, waren kunstfertig, wussten aber nicht, was sie wirklich taten. Es waren die Hände einer jungen Frau oder eines Knaben, die die Geschichte und die Anordnung der Sterne auf dem Teppich in einer Werkstatt vor Hunderten von Jahren knüpften. Sie haben einfach nur das überlieferte Wissen, das allen Völkern gemein ist, zu einem Kunstwerk verwoben.«
    »Warum wird das Apfelpflücken vom Baum der Erkenntnis aber als der Sündenfall betrachtet?«
    »Das habe ich Euch bereits gesagt, Girolamo. Also noch einmal: Wenn Ihr das Ebenbild des Vaters seid, würdet Ihr Euch dann vor dessen Diener, der sich Papst, Pater, Priester oder wie auch immer nennt, verbeugen?«
    »Nein. Gewiss nicht.«
    »Und dieser Diener sich vor Euch?«
    »Nein, denn wir sind schließlich alle gleich.«
    Giovanni wurde ernst. »Ihr habt Euch gerade selbst die Antwort gegeben, Girolamo. Wissen ist ein Geschenk, aber jemand hat die Spielregeln geändert. Unter Ebenbürtigen gibt es kein Machtgefüge, keine Kirche und keinen Papst. Die Erkenntnis kennt keine Sünde und keine Käuflichkeit. Es gibt nur die Liebe,

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