999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
entfernt, und Wilhelm entschloss sich, zu Fuß zu gehen. Hier war es zwar heißer als in Rom, wo eine leichte Brise die Sommerhitze erträglicher machte, doch ein Spaziergang würde ihm guttun.
Florenz war kleiner als Rom, und alle wesentlichen Institutionen konzentrierten sich in der Innenstadt. In der Hauptstadt waren die Büros der Behörden weiträumig über die ganze Stadt verteilt.
Er flanierte vom Borgo San Jacopo über die Ponte Vecchio. Die Werkstätten der Kunsthandwerker quollen vor Gold nur so über. Die Goldketten waren vor den Werkstätten wie Lametta drapiert, und Zugel verspürte ein unwiderstehliches Verlangen, einfach nach ihnen zu greifen – er wusste jedoch, dass ihn zwischen den ganzen Schmuckkaskaden kleine Äuglein von der Ladentheke aus beobachteten.
»Juden«, murmelte er abfällig und ging schneller, »bald seid auch ihr dran.«
Das Treffen war auf zwölf Uhr in einem Polizeirevier neben den Thermen im Herzen der Stadt anberaumt. Während Zugel eilig zum Treffpunkt ging, suchte er in seiner rechten Jackentasche nach dem Empfehlungsschreiben. Es war vom Hauptinspektor der IV. Division der OVRA , Pasquale Adriano höchstpersönlich unterzeichnet und enthielt die Anweisung, Herrn Wilhelm Zugel jedmögliche Unterstützung zuteil werden zu lassen. Die Anrede »Herr« hatte Zugel zunächst irritiert – schließlich war er Soldat und hatte einen Dienstgrad: Er war Leutnant der Schutzstaffel, und dieser Rang gab ihm das Recht, auch so angesprochen zu werden. Zum jetzigen Zeitpunkt musste man noch Geduld mit den Italienern aufbringen, aber sobald Italien Provinz des Germanischen Imperiums wurde, würde sich hier einiges ändern.
Der Polizist bedeutete ihm, zusammen mit den anderen – irgendwelchen Frauenzimmern und Zivilisten – in der Eingangshalle Platz zu nehmen. Die Uniform des Polizisten war schäbig, die Ellbogen abgewetzt und überall geflickt: Wie konnten diese Männer Respekt einflößen?, fragte Zugel sich und blickte hochmütig um sich. Nach über einer Viertelstunde wurde sein Name aufgerufen. Diese Indiskretion machte ihn wirklich wütend, doch er konnte nichts mehr dagegen tun. Man geleitete ihn in das Büro von Vizekommissar Baldo Moretti – so stand es jedenfalls auf dem Türschild.
»Guten Tag, Herr Zugel«, sagte Moretti, ohne sich vorzustellen. »Ich bin schon über Ihr Erscheinen informiert worden. Sagen Sie mir bitte, was ich für Sie tun kann.«
»Ich benötige nur ein ruhiges Zimmer«, sagte Zugel und schaute sich um, »ich erwarte Kollegen.«
»Ach, ich verstehe«, antwortete der Vizekommissar und sah ihm in die Augen. »Ich kann mir schon denken, um was für eine Art Kollegen es sich handelt.«
Er sprach das Wort »Kollegen« so geringschätzig aus, dass Zugel wütend von seinem Stuhl aufsprang und ihn im Eifer des Gefechts umwarf.
»Diese Kollegen , wie Sie sich auszudrücken belieben, sind die besten Mitglieder eurer Polizei und zuverlässige Freunde der Gestapo, der ich mit Stolz als Offizier angehöre.«
»Echauffieren Sie sich nicht, Herr Zugel«, antwortete der Vizekommissar ruhig, »ich weiß um die freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Polizeibehörden. Ich habe ja gar nichts gesagt und stehe Ihnen selbstverständlich ganz zur Verfügung. Sie wünschen ein ruhiges Zimmer? Dann sollen Sie es bekommen.«
Er lächelte maliziös und führte den Deutschen höchstpersönlich. Besagtes Zimmer entpuppte sich als bessere Besenkammer mit vier Stühlen und einem wackeligen Tisch im ersten Stock des Gebäudes – das hätte er diesem Idiot heimgezahlt.
Kurz darauf erschienen zwei Zivilisten, die Zugel zuerst förmlich mit dem Hitlergruß und dann herzlich per Handschlag begrüßten. Der eine hatte eine blonde Tolle, die ihm in die Stirn fiel, und ein gewinnendes Lächeln. Der andere war älter und sah wie ein Bär aus, dem man den Schädel rasiert hatte. Seine Hände waren riesig und behaart.
»Ich heiße Klaue«, sagte der Blonde, »und den da nennen wir Pranke. Unsere richtigen Namen tun nichts zur Sache. Wir stehen Ihnen komplett zu Diensten, Herr Leutnant!«
Endlich fühlte sich Zugel wohl, und erleichtert zeigte er ihnen das Empfehlungsschreiben des OVRA -Chefs.
»Kein Problem: Sie befehlen, und wir gehorchen, Herr Zugel!«, sagte Klaue lächelnd und wiederholte den Hitlergruß.
Wilhelm grinste breit. Das waren Italiener, die ihm gefielen! Er wies sie also an, diesen Buchhändler, einen gewissen Giacomo de Mola, so lange zu observieren, bis
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