999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
Probleme unterbrochen werden konnte, und fragte nach seinem Meister.
»Meister Eucharius ist erkrankt. Seit Wochen steigt er nicht mehr in die Werkstatt hinab. Jedes Mal, wenn wir wissen wollen, was zu tun ist, müssen wir zu ihm hinauf. Aber wenn Ihr ihn sprechen wollt«, sagte der Junge freundlich, »dann melde ich Euch gleich an.«
»Was hat Eucharius?«
»Der Bader, der ihn untersuchte, sagt, dass die schwarze Galle daran schuld sei. Sie hat sein Gemüt traurig gemacht und sein Herz schwer. Vielleicht würde ihm ein Aderlass guttun, aber er weigert sich.«
»Es scheint, als wärst du in der Heilkunst bewandert?«
»Nein, hoher Herr, ich habe nur die Ars medicinalis von Claudio Galeno gedruckt und sie dabei mehrmals gelesen. Dabei habe ich eine Leidenschaft für die Heilkunst in mir entdeckt.«
»Wie heißt du, mein Junge?«
»Israel Nathan, hoher Herr, und ich bin erst seit kurzem hier.«
»Ja, in der Tat habe ich dich hier noch nie gesehen.«
»Ich werde auch nicht sehr lange hierbleiben, mein Herr. Ich komme aus Deutschland und hoffte auf ein besseres Klima in Rom für uns Juden. Aber ich habe mich getäuscht, hier ist die Situation nicht besser als in meiner Heimat. Vielleicht gehe ich nach Mailand. Es scheint, dass die Familie der Sforza uns Juden gegenüber gnädiger gestimmt ist.«
»Ich wünsche dir alles Gute, Israel, und wünsche dir, dass du überall, wo du hingehst, deine Gemeinschaft Gottes finden mögest.«
»Möge es auch Euch wohlergehen, mein Herr, den ich als Christen erkenne, der die Thora jedoch sehr gut kennt. Ihr seid sehr gütig. Wünscht Ihr, dass ich Meister Eucharius Euren Besuch melde?«
»Nein, das ist nicht notwendig, ich danke dir«, antwortete Giovanni, »ich kenne den Weg. Und Eucharius kennt mich.«
Mit einem Abschiedsgruß stieg Giovanni die enge Treppe in den ersten Stock hinauf, in dem Eucharius wohnte. Der Buchdrucker war ebenso groß und mager, wie er immerzu ein wenig traurig und geizig war – nach Hippokrates war er deshalb besonders anfällig für die schwarze Galle. Giovanni befürchtete jedoch, dass da noch etwas anderes war, weshalb Eucharius so unfroh aussah. Als er die Blicke des Druckers sah, wusste Giovanni, dass er mit seinen Befürchtungen Recht gehabt hatte.
»Ihr schon wieder«, sagte Eucharius missmutig. In seiner Stimme schwang nichts mehr von ihrer alten Freundschaft mit. »Wie viel Unglück wollt Ihr mir noch bringen? Wollt Ihr, dass ich in den Kerker geworfen, gefoltert und verbrannt werde? Nur, weil ich den Fehler begangen habe, ein Buch zu drucken? Ihr habt mein Leben zerstört, und Euretwegen werde ich arm und unglücklich sterben. In Schmach verscharrt, und Ihr tanzt mit dem Papst fröhlich auf meinem Grab. Geht! Lasst den jüdischen Buchdrucker Eucharius in Frieden!«
Verstört von seinen Worten, kam Giovanni näher und versuchte, Eucharius in die Augen zu sehen. Dieser verweigerte jedoch beharrlich den Blickkontakt und warf den Kopf wie im Delirium hin und her. Giovanni nahm die knochigen Hände des alten Juden in die seinen und drückte sie fest.
Endlich schaute ihn Eucharius an. »Was wollt Ihr von mir?«
»Ich glaube, das weißt du selbst, Eucharius.«
»Ich weiß nichts, Graf, nur dass mein Leben keinen Heller mehr wert ist.«
»Du weißt , was ich von dir erbitte, Eucharius. Du liest alle Bücher, die du druckst, und behältst immer eine Kopie für dich, nicht wahr?«
»Ich tue nichts Unrechtes«, sagte der Alte trotzig und versuchte, sich aus dem Griff des Grafen zu befreien.
»Nein, du hast auch nichts Unrechtes getan«, beruhigte Giovanni den alten Mann, »aber du hast die Tagebücher von Uruk gedruckt, du kennst den ursprünglichen Text der Bibel und den Dualismus von Jahwe und Ascherach. Und du hast deine Kenntnisse über die Geschichten der Götternamen von Axieros und Kybele vertieft. Soll ich fortfahren, Eucharius?«
»Ihr … wisst nicht, was Ihr sagt.«
Die Stimme des Alten war immer schwächer geworden. Als der Drucker endete, war jede Spur von Wut verflogen.
»Wir wissen beide, dass du dich nicht fürchten musst. Du hast weit mehr verstanden als das, was du gelesen hast. Bald werden wir unsere Augen gen Himmel richten und unsere Mutter sehen, und vielleicht werden wir es sogar gemeinsam tun.«
»Graf, ich flehe Euch an. Sagt nichts mehr. Jedes Eurer Worte ist wie ein Dolchstoß.«
Eucharius’ Stimme war mittlerweile nur noch ein Flüstern.
»Geht, Graf, lasst mich allein, ich bitte Euch. Ich verdiene es
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