999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
nicht einmal, dass Ihr Euer Wort an mich richtet. Nach Eurem letzten Besuch habe ich … ich habe mich gefürchtet und erneut wie ein Judas gehandelt.«
»Judas war ein guter Mann.«
»Er? Ach, das weiß ich nicht mehr, aber ich bin es gewiss nicht. Hört mir nun zu. Ich erbitte nicht einmal Eure Vergebung, denn ich büße bereits in meiner Hölle.«
Der Alte begann zu sprechen, und Giovanni hörte sich wortlos sein Geständnis an.
»Du tust gut daran, keine Vergebung zu erflehen. An deiner Stelle hätte ich genauso gehandelt«, sagte er, als Eucharius geendet hatte.
»Nein, Ihr nicht«, sagte der Alte mit Nachdruck, »Ihr seid … anders. Ihr fürchtet Euch nicht!«
»Ich fürchte mich sehr wohl, Eucharius. Ich fürchte um mein Leben, ich fürchte um meine Mission, und ich fürchte, dass die dunklen Mächte am Ende doch noch obsiegen werden.«
Eucharius begann zu weinen und verbarg das Gesicht in seinen Händen.
Giovanni stand auf.
»Sagt mir, was ich für Euch tun kann«, sagte der Buchdrucker mit zittriger Stimme. »Ich bitte Euch! Vielleicht kann ich auf irgendeine Art und Weise wieder etwas gutmachen.«
»Nein, Eucharius, ich danke dir. Es ist besser, wenn du nicht noch mehr in Mitleidenschaft gezogen wirst. Und so wie es jetzt aussieht, wirst du noch weitaus größeren Bedrohungen ausgesetzt sein, und das nicht meinetwegen. Eucharius, wir sind am Anfang eines Krieges, den ich unter allen Umständen verhindern möchte. Die Dunkelheit wird sich ausbreiten über der Erde – wenn ich vorher nicht das Licht bringe. Führe dein Handwerk fort, Meister, und je besser du bist, desto weniger hast du zu befürchten. Ach, und lass diesen Jungen, den ich kennengelernt habe, diesen Israel Nathan, fortgehen. Mit diesem Namen und seiner Wissbegier ist er in Rom nicht mehr sicher.«
»Das werde ich tun, Graf, ich werde es tun, einfach weil es richtig ist. Darf ich Euch wenigstens ein paar Denari mitgeben? Ich habe die für meinen Verrat vereinbarten dreißig Denari nie bekommen, aber ich möchte sie im Namen meines Bruders Judas zurückgeben.«
Giovanni ließ die Münzen in sein Säckchen gleiten.
»Danke, Eucharius. Und denke daran, dass Jesus Christus ohne Judas niemals als Sohn Gottes anerkannt worden wäre«, fügte er lächelnd hinzu.
»Ja, das habe ich auch gedacht, als ich Euch verriet, aber wie meint Ihr es?«
»Ein anderes Mal, Eucharius … meine Zeit ist noch nicht gekommen. Jetzt gehe ich. Schalom, Eucharius, und pass auf dich auf.«
»Barmherzigkeit und Wahrheit treffen sich, Gerechtigkeit und Frieden küssen sich ... auch Euch ein Schalom.«
»Psalm 85. Ja, Eucharius und bleib dir treu.«
Bevor Giovanni die Werkstatt des Buchdruckers verließ, bat er den jungen Israel, draußen nachzusehen, ob er etwas Auffälliges feststellte oder ob jemand auf ihn zu warten schien. Dem Lehrling fiel nichts auf, und er verabschiedete sich herzlich von Giovanni.
Die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten, und so zog Giovanni sich die Kapuze tief ins Gesicht und ging seiner Wege. Er wechselte einige Male abrupt die Richtung, nur um zu sehen, ob ihm nicht doch jemand folgte. Dann ging er in Richtung Via dei Trionfi, nur von dem einen Wunsch beseelt: Rom so schnell wie möglich zu verlassen. Er musste absolut vorsichtig sein, denn seine Flucht aus der Santo-Spirito-Kirche hatte sicherlich den Unmut des Papstsohnes erregt und Fränzchen seine Söldner alarmiert.
Giovannis Vermutungen trogen ihn nicht, ganz im Gegenteil: Die Wut Fränzchens ging sogar noch weiter. Er hatte nicht nur vier seiner Männer verloren, sondern auch noch vor diesem Steuereintreiber aus Arezzo, diesem Giuliano Mariotto de’ Medici, die Figur eines Idioten abgegeben. Außerdem wollte de’ Medici die fünfhundert Golddukaten von ihm zurück, was Fränzchen mindestens genauso erboste. Er würde ihm diesen Affront noch heimzahlen, aber zuerst musste er, um seine Ehre und Würde wiederherzustellen, unbedingt den Grafen von Mirandola aufspüren. Mit seinen Kapitänen war er klar gewesen: Fünfhundert Golddukaten für denjenigen, der den Grafen finden würde und für jeden fünfzig Peitschenhiebe, wenn der Graf am Ende des Tages noch in Freiheit wäre.
Die Horde fiel mit großem Getöse in das Haus des großzügigen Gastgebers, Kardinal de’ Rossi, ein. Mit erhobenen Schwertern rissen sie das Tor nieder, überrannten die Dienerschaft samt ihrer Familien und verhafteten Girolamo Benivieni. Dass sie Benivieni zudem in flagranti mit einem
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