999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
flüsterte Giovanni heiser, »ich denke an Euch, wenn ich mich zur Ruhe begebe, und wache auf – mit Euch an meiner Seite. Jede Nacht vor dem Einschlafen wünsche ich mir, dass Ihr mir zum Trost für Eure Abwesenheit wenigstens im Traum erscheint.«
»Giovanni, wir haben keine Zeit für Liebesschwüre. Ihr seid in Gefahr. Ein Mann hat mich gewarnt und mich gebeten – sollte er in seinem Ansinnen nicht weiterkommen –, Euch zur Flucht aus Rom zu überreden.«
»Ist er hochgewachsen und hat einen Bart?«
»Ja, beides trifft zu. Wisst Ihr, wer er ist?«
»Nein, er hat mich gestern in der Basilika aufgehalten und mir dasselbe gesagt wie Ihr gerade eben.«
Margherita sah ratlos aus. »Ich weiß auch nicht, wer er ist«, sagte sie. »Aber um Euch zu überzeugen, hat er mir dies als Beweis seiner guten Absichten gegeben und mich gebeten, es Euch zu überreichen.«
Giovanni nahm ein kleines, mit Lilien besticktes Seidentuch von ihr entgegen.
»Das ist zweifellos von Lorenzo de’ Medici.«
»Er warnt Euch, Giovanni. Offensichtlich weiß er mehr, als wir ahnen können!«
»Erst gestern habe ich den Papst getroffen, aber es schien mir, als wollte er mich nur ein wenig einschüchtern und mir Zeit zum Nachdenken geben.«
»Giovanni, ich habe Angst. Versprecht mir, dass Ihr fortgeht. Heute, allerspätestens aber morgen.«
»Gerade jetzt, wo ich Euch sehen durfte …«, klagte Giovanni.
»Meine Liebe wird Euch überallhin folgen, in diesem und in einem anderen Leben. Bevor ich aber an Eurem Grabe stehe und Euch beweine, weiß ich Euch lieber weit weg von mir, aber wenigstens am Leben«, flüsterte sie mit Tränen in den Augen.
»Gut, meine Teuerste, ich werde gehen. Zuvor muss ich jedoch Elia del Medigo und Abu Abdullah sehen. Sie haben sich bereits auf den Weg nach Rom gemacht – um meinetwillen. Seht Ihr diese Papiere? Dies ist eines der drei Exemplare der letzten Thesen, der neunundneunzig, die ich noch nicht veröffentlicht habe. Sie wollen davon Kopien in ihren Sprachen anfertigen lassen, in der Sprache von Jahwe und in der Sprache Allahs. Wenn die Welt von den Thesen erfahren wird, Liebste, dann gibt es keine Grenzen, keine Verfolgungen und keine Kriege im Namen Gottes mehr …«
Margherita legte ihm beide Hände auf den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ein Dominikanernovize, der unfreiwillig Zeuge davon wurde, bekreuzigte sich erschrocken, stand auf und verschwand raschen Schrittes hinter der Sakristei.
»Der richtige Moment ist noch nicht gekommen, Giovanni …«, flüsterte Margherita erschrocken.
»Der richtige Moment wird nie da sein, wenn wir der Welt den Ursprung unserer Existenz und die Macht der Schöpfung nicht endlich offenbaren. Ich weiß, Ihr glaubt an mich, aber ich wünsche mir, Ihr würdet das Buch lesen, um Euch – über Eurer Herz hinaus – auch davon überzeugen zu lassen. Dieses Exemplar ist für Euch, teure Margherita!«
Als Giovanni ihr jedoch das Buch reichen wollte, bemerkte er, dass sie nicht mehr allein in der kleinen Kirche waren: Zwei Pagen knieten, als würden sie auf das Abendmahl warten, direkt vor dem Altar. Drei weitere Männer, offensichtlich Händler oder Pilger, saßen links neben Giovanni. Er wandte sich vorsichtig um. Die Magd hatte mittlerweile den Beichtstuhl verlassen und war verschwunden – genau wie die beiden anderen Frauen, die er beim Hereinkommen wahrgenommen hatte.
Hinter ihnen hörten Giovanni und Margherita die Kirchentür sich öffnen. Als sie den Kopf wandten, sahen sie zwei Mönche eintreten – die beiden hatten es offenbar sehr eilig, denn sie schritten voran, ohne sich mit Weihwasser zu benetzen oder zu bekreuzigen.
»Kniet nieder, Margherita«, flüsterte Giovanni, »und dreht Euch nicht um. Wir sehen uns nächsten Sonntag in der Petersbasilika. Und wenn dies nicht möglich ist, werden wir unserer geheimen Absprache folgen. Denkt daran, ich werde immer bei Euch sein!« Mit wild klopfendem Herzen gehorchte ihm Margherita. Ohne sich von ihr zu verabschieden, wandte Giovanni sich ab und eilte direkt zum Ausgang. Weit kam er jedoch nicht, denn die beiden Mönche versperrten ihm den Weg, die zwei Pagen erhoben sich aus den Kirchenbänken, und auch die anderen drei Männer kamen auf ihn zu.
Obwohl Giovanni in diesem Moment lieber von seinem Schwert Gebrauch gemacht hätte, hielt er das Manuskript fest in seinen Händen und wartete reglos ab, was als Nächstes geschah.
Einer der beiden Mönche nahm seine Kapuze ab und sah ihn direkt an. Er
Weitere Kostenlose Bücher