999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
dessen Freundschaft und Treue ich nicht zweifle.«
Ferruccio rammte wütend seinen Dolch in den Tisch. Von den anderen Tischen stieg Gemurmel auf.
»Dann haben wir ein Problem. Dieser Bastard hat mir doch nicht alles erzählt! Das ist es, was ich dir vorhin sagen wollte. Girolamo wurde verhaftet.«
»Wann? Und welche Missetat soll er begangen haben?«
»Es geschah, kurz bevor du Rom verlassen hast. Es waren die Männer Fränzchens. Ich weiß nicht, ob auf seine Anweisung oder die seines Vaters. Benivieni ist der Sodomie bezichtigt worden und ist, soviel ich weiß, noch im Kerker.«
»Aber das ist nicht wahr!«
»Glaubst du wirklich? Ich weiß nicht. Die Verhaftung geschah im Hause von Kardinal de’ Rossi, und ich bin sicher, dass sie dich dort suchten.«
Der Graf holte tief Luft und senkte den Kopf.
»Die beiden Exemplare … ich dachte, sie wären in Sicherheit. Ich habe sie in einem Geheimfach in meinem Sekretär aufbewahrt. Nur Girolamo wusste davon.«
Ferruccio legte ihm die Hand auf den Arm.
»Es tut mir leid, aber mittlerweile haben sie entweder die Exemplare gefunden oder Girolamo zum Sprechen gebracht. Er wurde in den Annona-Kerker gebracht – und auf Sodomie stehen Folter und Scheiterhaufen.«
Graf Mirandola stützte den Kopf auf die Hände.
»Das ist schrecklich. Er, der harmlose Poet, zwischen den schlimmsten Verbrechern. Glaubst du, dass er schuldig ist?«
»Nur du kannst das wissen, Giovanni, denn du kennst ihn seit Jahren …«
»Ich habe nie etwas bemerkt! Wir haben immer nur über Philosophie, über das Buch, und ja, auch über die Liebe gesprochen. Die Liebe der Poeten.«
»Soweit ich weiß, lehnte Platon es nicht ab, sich mit seinen Schülern zu vergnügen.«
»Ja, aber sie waren in Griechenland, und dort herrschten andere Sitten. Ich … weiß es nicht. Wie auch immer – ich muss ihm helfen; dasselbe würde er auch für mich tun.«
»Wir werden sehen, was wir tun können.«
»Danke, Ferruccio, dass du allzeit bereit bist, mir zu helfen. Wie werde ich dir nur jemals dafür danken können?«
»Hat mein weiser Freund vielleicht die Lehre Epikurs vergessen? ›Von allem, was die Weisheit für die Glückseligkeit des ganzen Lebens bereitstellt, ist der Gewinn der Freundschaft das bei weitem Wichtigste.‹ Du staunst? Du beleidigst mich immer noch ob meiner vermeintlichen Ignoranz! Schluss jetzt, mein Freund – machen wir uns lieber über das Buch Gedanken.«
»Und du überraschst mich immer noch … Auf jeden Fall ist es jetzt wichtiger, dass du das Buch hütest. Ich bin nur eine lebende Kopie von ihm: Wenn sie mich treffen wollen, werden sie beides haben.«
»Was soll ich tun?«
»Versteck’ es, ohne mir zu sagen, wo. Hüte es für immer. In diesem Buch ist nicht nur mein Leben, sondern auch das einer neuen Welt. Einer Welt ohne den Gott der Heere, ohne einen Gott, der die Schuldigen und Unschuldigen gleichermaßen bedrängt, einen ohne Bart und flammendes Schwert. Dieses Buch zeugt von meiner Hoffnung, dass sie eines Tages aufhören werden, in seinem Namen Krieg zu führen, dass sie niemanden mehr über die anderen stellen und dass die Frau als Schöpferin und liebevolle Mutter anerkannt wird, dass sie der Rolle der bemitleidenswerten Maria, der Christusmutter, zu der sie die Kirchenväter machten, entwachsen kann. Die Unterdrückung der Frau ist ein absurder Irrweg, um die Menschheit noch mehr irrezuführen und sie unter der Knute der Ignoranz zu halten.«
»Ich weiß nicht, ob die Menschheit fähig ist, diese Dinge zu verstehen, Giovanni, auch wenn die Beweise im Himmel geschrieben stünden und sie ihnen jede Nacht erscheinen würden.«
»Ich weiß, es wird Jahre, vielleicht Jahrhunderte dauern. Ich möchte diesen Samen säen und dem Setzling dabei zusehen, wie er ans Licht kommt. Ich weiß nur zu gut, dass daraus nie ein Baum mit einem dicken, unverwüstlichen Stamm und schützenden Ästen und Blättern wird, doch für den Anfang reicht es aus, wenn nur wenige verstehen. Ich vertraue darauf, dass sich diese Erkenntnis mit der Zeit wie die Lava eines Vulkans ihren Weg bahnen wird.«
»Du hast mein Wort, Giovanni, ich werde tun, was du von mir verlangst.«
Graf Mirandola legte seinen Mantel ab und legte ihn sich auf die Knie.
»Gib mir deinen Dolch«, sagte er.
Mit der Klinge schlitzte er das wertvolle Futter auf und holte das Manuskript hervor. Er legte es auf den Tisch und sah Ferruccio zu, wie dieser sein Wams öffnete und sich das Manuskript auf die Brust
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