999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
ihnen formten ein gigantisches »C«.
Graf Mirandola kam in Begleitung seines Pagen auf dem Vorplatz des Palazzos an. Dort wartete bereits eine ganze Volksmasse, um die Parade der Adligen, die an den Hof Lorenzos des Prächtigen eingeladen worden waren, zu bewundern. Die Stadtwache hatte mit ihren gekreuzten Hellebarden einen Schutzring um den Palazzo gezogen und hielt jeden, der unerlaubt eindringen wollte, mit Faustschlägen oder den Ellenbogen fern. Am Rande des Platzes standen kleine Buden, vor denen Gaukler ihre Kunststücke vorführten. Aus dem Augenwinkel sah Giovanni, wie der Bart eines Feuerschluckers zu brennen begann, als ein Schrei ihn kurz ablenkte. Giovanni suchte mit den Augen den Urheber des Schreis. Beim Absteigen von seinem Ross schweifte sein Blick an der Palazzowand entlang. Auf dem Balkon im ersten Stock sah er einen Schatten und nahm gleichzeitig wahr, dass die Schreie auf dem Platz noch lauter wurden: Lorenzo, der Herrscher von Florenz, zeigte sich dem Volk.
Giovanni ging weiter in Richtung Innenhof. Auch dieser war von Lichtern und Fackeln hell erleuchtet. Aus einer Delfinstatue i n der Mitte des Platzes sprudelte roter Wein, der an Blut erinnerte. Einige Pagen mit roten Beinkleidern und grüner Weste, die ihre dunkle Hautfarbe betonte, boten allen Gästen, sowohl den edlen Damen als auch den Kavalieren, Kelche mit Wein an.
Auf dem breiten marmornen Treppenaufgang traf Giovanni viele bekannte Gesichter; mit einigen von ihnen wechselte er ein paar Höflichkeitsfloskeln.
Der Dugento-Saal war festlich geschmückt: Von der mit wertvollen Hölzern getäfelten Decke hingen schmiedeeiserne Lüster herab, die den Saal in hellem Licht erstrahlen ließen. Große Kohlefeuerstellen spendeten Wärme, und einige der anwesenden Damen und Herren hatten sich auch bereits ihrer wertvollen Mäntel entledigt – wie die Gruppe der prachtvoll gekleideten Damen, die um einen hochgewachsenen Mann mit blauer französischer Kappe und einer Biberstola herumstand. Eine der Edelfrauen trat lachend zur Seite, und Giovanni erkannte, dass es sich bei dem eleganten Edelmann um Fränzchen handelte. Das »C« auf der Fassade des Palazzos, das Zeichen der Cibo, brannte heute zu seinen Ehren. Und ihm und seiner Braut zu Ehren fand auch das prächtige Fest statt. Während des Festmahls würde Lorenzo die Vermählung seiner Tochter Magdalena mit dem Sohn von Papst Innozenz VIII. verkünden.
Giovanni wurde mit einem Gruß und einem freundlichen Lächeln vom Gastgeber begrüßt, der aber sofort wieder in einem Heer aus Federkappen und Mänteln verschwand. Er schaute sich nach Ferruccio um und hoffte, dass dieser seine Nachricht erhalten und eine Einladung am Hofe erwirkt hatte.
Die Tafel in Form eines Hufeisens nahm den gesamten Saal ein und war mit solch einem Reichtum gedeckt, dass sogar der an Luxus gewöhnte Mirandola staunte: Auf den feinen azurblauen Brokattischdecken glänzten Geschirr und Besteck aus purem Gold, und die weißen Kelche jedes Gedecks waren mit vergoldeten Lilien verziert. Ein Fanfarenstoß eröffnete das Festmahl. Die Eingeladenen, jeder von einem Pagen begleitet, setzten sich zu Tisch, an dessen Ende der Prächtige mit Fränzchen zu seiner Rechten und Magdalena zu seiner Linken thronte. Ein Diener wies Giovanni seinen Platz. Respektvoll verbeugte sich dieser vor den beiden Damen, zwischen denen er sitzen würde.
»Ihr seid also der berühmte Mirandola«, sagte die Ältere. »Wie könnt Ihr nur so jung sein?«
»Ihr kennt meinen Namen?«
»Der Page nannte ihn mir, denn ich wollte wissen, mit wem ich die Ehre haben würde zu speisen.«
»Die Ehre ist ganz meinerseits, meine Dame.«
»Endlich lerne ich Euch kennen. In Florenz spricht man über nichts anderes. Ihr seid ein Schelm – lasst Euch das von einer Dame von Welt sagen.«
Der nächste Fanfarenstoß kündigte den ersten Gang an, der aus zehn vergoldeten Spanferkeln bestand, die beim Servieren Feuer spuckten, gefolgt von Kaninchen und Hechten, auch sie vergoldet. Dieser prachtvolle Anblick brachte die geschwätzige Frau jedoch immer noch nicht zum Schweigen.
»Wie unhöflich von mir«, plapperte sie weiter, »ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin die Witwe Becuccio, und das ist meine Tochter Cecca.«
Die Jüngere stand auf und grüßte unbeholfen. Giovanni lächelte sie höflich an.
»Gefallen Euch diese Gläser?«, fuhr die Frau fort. »Ich sah, dass Ihr sie bewundert habt. Sie kommen alle aus meinen Werkstätten, aus dem Val
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