999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
einem Tisch voller Papiere, Siegel, Schreibfedern und Tintenfässchen, was ihn effizient und wichtig aussehen ließ. In Wirklichkeit hatte ihn Kardinal Borgia, der in letzter Zeit immer öfter beim Papst war, angewiesen, die Mönche genau zu beobachten und ihm sofort jedes verdächtige Benehmen zu melden. Ganz zu schweigen davon, dass der Spanier über keinerlei Autorität verfügte, um ihm irgendwelche Anweisungen geben zu können – was sollte schon Verdächtiges an zwei deutschen Mönchen sein, die alles getan hatten, um so schnell wie möglich nach Rom zu kommen? Jedenfalls hatte er Borgia versichert, dass er sie keinen Moment aus den Augen lassen würde, und das tat er bereits seit über zwei Stunden.
Es schlug Mittag, und er hatte Hunger: Eigenartigerweise hatte die beginnende Fastenzeit in ihm noch mehr Appetit geweckt. Die Tür des päpstlichen Studierzimmers öffnete sich, und Heinrich Kramer drehte sich schnell um, als Sansoni seinen eigenen Namen hörte. Der Kardinalvikar deutete ein Lächeln an und eilte in das Zimmer, wobei er sorgfältig die Tür hinter sich schloss.
»Seit wann warten sie?«, fragte ihn Borgia.
»Seit über zwei Stunden, Eure Eminenz.«
»Habt Ihr etwas Außergewöhnliches bemerkt?«
»Kramer läuft auf und ab, während Sprenger die ganze Zeit sitzen geblieben ist.«
Der Spanier machte eine vielsagende Handbewegung und bedeutete Sansoni, sich zu entfernen.
»Lasst sie eintreten und schließt die Tür sorgfältig hinter Euch. Niemand hat die Erlaubnis, einzutreten.«
Wieder ein Befehl! Wie es Euch beliebt – so sei es, Kardinal, so sei es. Aber solltet Ihr eines Tages meiner Unterstützung oder meiner Stimme bedürfen, müsst Ihr lernen, mir Respekt entgegenzubringen, dachte Sansoni bitter.
Die beiden Dominikaner traten mit gesenktem Blick ein. Kramer hatte seine Arme unter seiner Kutte verschränkt, und Sprenger hielt das Buch mit solcher Ehrfurcht, als wolle er Borgia auf einem Kissen die Schlüssel der Stadt übergeben. Beide knieten vor Papst Innozenz und Kardinal Borgia nieder, der auf einem niedrigeren Stuhl an der Seite des Pontifex Platz genommen hatte.
»Meine lieben Söhne«, begrüßte sie der Papst und kam dann gleich zur Sache. »Welche Notizen bringt ihr mir aus Deutschland?«
»Eure Heiligkeit«, sagte Heinrich Kramer, »Eure Eminenz. Wir erbitten Euren Segen, auf dass unsere Worte von ihm , der alle unsere Taten hört und sieht, erleuchtet seien.«
»Guter Mönch«, antwortete Seine Heiligkeit, »es geschieht nicht alle Tage, dass der Papst und ein Kardinal einen doppelten Segen aussprechen. Benedicat vos omnipotens Deus, Pater, et Filius, et Spiritus Sanctus .«
»Auch die Absolution, Vater.«
» Ego vos absolvo et cetera et cetera . Kann ich euch nun nach Notizen aus Deutschland fragen, oder habt ihr noch weitere Anliegen?«
Ohne jede Nervosität schob sich Heinrich Kramer die Kapuze zurück und blieb mit unbedecktem Haupte stehen. Borgia betrachtete den schmalen Kopf und seine winzige Tonsur, die wie ein Vogelnest aussah.
» Mala tempora currunt . Kaiser Maximilian zeigt keinerlei Respekt vor dem König der Könige Roms, ein Amt, das er dank Gott und Euren Gnaden ausübt. Seitdem seine Gattin Maria verstarb, führt er ein ausschweifendes Leben, und seine Freiherren stiften das Volk zu Revolten gegen die Heilige Römische Kirche an. Die Häresie greift um sich und besudelt mit ihren Pestbeulen auch die unschuldigsten Seelen. Das Schwert des Erzengels Gabriel sollte dieses Land mit seinem heiligen Feuer von Wollust und Laster reinigen. In Deutschland wird Jesus Christus jeden Tag aufs Neue ans Kreuz geschlagen – durch Gedanken, Worte und vom Bösen eingeflüsterte Taten.«
»Ein tröstliches Bild«, knurrte Kardinal Borgia halblaut.
»Interessant, erzähle mir mehr, mein Sohn«, ermunterte der Papst den Mönch. »Es ist also wahr, dass sich viele Frauen in Deutschland den fleischlichen Genüssen mit dem Teufel hingeben?«
Der Blick des Dominikaners erhellte sich, und unter dem besorgten Blick seines Mitbruders erhob er sich, ohne um Erlaubnis zu fragen. Er hob den rechten Arm mit gestrecktem Zeigefinger gen Himmel und zeigte mit dem linken auf das Buch, das neben Bruder Sprenger auf dem Boden lag.
»Ewig schändlicher Satan, stinkendes Sammelbecken aller Bosheiten, verfaulendes Fleisch und todbringende Gesellschaft! Die Wollust macht das Weib zu einer leichten Beute für Dämonen und böse Geister – ausgenommen unsere tugendhaften Heiligen und
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