AAA - Das Manifest der Macht
riesigen Kränen folgte der nächsten. Viele Baustellen, die John in der Vergangenheit gesehen hatte, waren heute moderne Bürobauten, die man so auch in amerikanischen Städten hätte finden können. Die Straßen jedoch waren nach wie vor in einem denkbar schlechten Zustand, und das Autofahren in Russland empfand John bereits nach wenigen Kilometern erheblich aggressiver als in Paris. Da kam ihm mit einem Mal der Verkehr in New York wie das Fahren in einer Wohnstraße vor. Kaum einer der Verkehrsteilnehmer hier hielt sich an die Fahrspuren und schon gar nicht an die Verkehrsregeln. Uralte Autos aus Sowjetzeiten und moderne Luxuslimousinen wechselten sich ab, der Stärkere oder Aggressivere hatte anscheinend Vorfahrt. John kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: ob Mann oder Frau, ob Jung oder Alt, alle telefonierten und schrieben Kurznachrichten, während sie das Fahrzeug lenkten. Dass die Autos auf den Fahrspuren schlingerten, war den Fahrern offenbar völlig egal, den anderen Verkehrsteilnehmern auch.
Endlich kamen sie nach ihrer abenteuerlichen Fahrt vor einem Stadthaus im Zentrum Moskaus an. Die reich strukturierte Fassade war aufwendig renoviert worden, die alten Fenster und Türen waren jedoch erhalten geblieben. Nachdem sie das Haus betreten hatten, stellte John verwundert fest, dass man das Treppenhaus bei der Renovierung wohl vergessen hatte. Es präsentierte sich immer noch im Sowjetstil der 70er Jahre und passte überhaupt nicht zum übrigen Erscheinungsbild des Gebäudes. Es sah auch nicht danach aus, als ob mit einem baldigen Beginn der Renovierungsarbeiten im Treppenhaus zu rechnen war.
Nachdem Gernot Bresser im zweiten Stock auf eine Klingel gedrückt hatte, öffnete sich die schwere Wohnungstüre aus massivem Eichenholz. Im Türrahmen stand ein Zwei-Meter-Mann mit kahl rasiertem Schädel und einem auffälligen Adler-Tattoo, der ihnen den Weg versperrte. Hinter seinem breiten Rücken fiel der Blick in eine prachtvolle Altbauwohnung, in der bei der Renovierung Altes und Neues geschmackvoll miteinander verbunden worden war.
Hier wohnt jemand, der nicht nur Stil hat, sondern auch das nötige Geld, um sich mit teurem Interieur zu umgeben, schoss es John durch den Kopf.
Der Hüne blickte mit ausdruckslosem Gesicht auf die beiden Besucher herab und zeigte keine Bereitschaft, die Tür freizugeben. Erst als Gernot Bresser auf Russisch ihre Namen nannte, machte er einen Schritt beiseite und forderte sie mit einer kurzen Kopfbewegung auf, einzutreten. Er führte sie durch die geräumige Diele in einen großen Raum, der offensichtlich als Wohn- und Arbeitszimmer diente. John war überrascht, wie westlich geprägt die Einrichtung war. Ein riesiger Flachbildfernseher nahm gut ein Fünftel der Schmalseite des Wohnzimmers ein. Auf einem Schreibtisch standen zwei Laptops, einer davon ein Apple MacBook pro, das neueste Modell. Komisch, alles sehr amerikanisch, dachte John.
Der Hüne bedeutete ihnen, sich zu setzen und verließ wortlos den Raum. Kurz darauf betrat ein älterer, weißhaariger Mann das Zimmer, und Gernot Bresser und John sprangen von ihren Sesseln auf. Der Mann ging auf Gernot Bresser zu, breitete die Arme aus und zog den Deutschen an seine Brust.
„Gernot“, sagte er nur und klopfte ihm während der Umarmung freundschaftlich auf den Rücken. Man sah seinem Gesicht nicht an, ob er sich über den Besuch freute oder ihn als Belästigung empfand.
„Dimitri. Danke, dass du uns empfängst. Das ist mein Freund John Marks.“ Gernot Bresser zeigte auf John.
„Guten Tag, Mr. Marks.“ Dimitri Jurtschenko schüttelte Johns Hand. „Ich freue mich, Sie bei mir zu begrüßen. Ich habe jahrelang in den USA gelebt, bevor ich …, na ja, egal.“
Kann dieser Mensch Gedanken lesen, dachte John und verspürte leichte Nervosität.
„Ich habe ihm nur erzählt“, erklärte Gernot Bresser an Dimitri Jurtschenko gewandt, „dass wir einander kennen, schätzen und vertrauen, aber ich habe ihm keine Details erzählt. Ich dachte mir, das kannst du machen, wenn dir danach ist. Ich weiß bei eurem System immer noch nicht, was man wann, wem und wo erzählen kann.“
Um Dimitri Jurtschenkos Mundwinkel zuckte der Anflug eines Lächelns.
„Du kannst dich beruhigen, Gernot, ich weiß das auch nicht. Ich bin zum Beispiel sicher, dass mein Telefon abgehört wird. Noch immer ist das, was ich mache und tue, für manche Menschen offenbar von großem Interesse. Deshalb wollte ich auch, dass Sie, Mr. Marks, persönlich zu
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