AAA - Das Manifest der Macht
Marx zu finden?“
„Nein, hier steht nichts davon, das Eleanor Marx Kinder hatte.“ Die Büroleiterin blätterte einige Seiten vor und zurück. „Nein, warten Sie, schauen Sie mal“, sie zeigte auf ein Dokument aus dem Jahre 1897. „Hier steht, dass ein Junge namens John Doe, der unter der damaligen Wohnadresse von Eleanor Marx geboren wurde, kurze Zeit später im St. Mary-Waisenhaus verstarb. Eigenartig ist nur, dass hier die Angaben über die beiden Aufenthaltsorte des Kindes stehen, aber nichts über seine Herkunft.“
„John Doe?“, überlegte Samantha. „So bezeichnet man doch Personen mit ungeklärter Identität. Das kennt man ja sogar aus Filmen. Offenbar wollte jemand verhindern, dass die wahre Identität des Jungen herauskam. Warum bloß? Wieso um alles in der Welt trug ein Junge, der im Haushalt von Karl Marx´ Tochter zur Welt kam, diesen Namen? “
„Sehen Sie da irgendwo die genaue Adresse des Waisenhauses?“ Ben hatte sich bisher auffällig zurückgehalten, war aber jetzt Feuer und Flamme. Er hatte das untrügliche Gefühl, dass sie einen gewaltigen Schritt in die richtige Richtung gemacht hatten. Er wusste auch ohne Absprache mit Samantha, dass sie sich sofort anschließend an dieses Gespräch auf den Weg zu diesem Waisenhaus machen würden. Leider zerstörten die nächsten Worte der Büroleiterin all seine Hoffnungen.
„Ja, die steht hier natürlich, aber leider gibt es das Haus nicht mehr, das weiß ich genau. Es fiel im Jahr 1955 einer Brandstiftung zum Opfer. Die Ruine stand noch bis Ende der 1960er-Jahre, dann wurde sie abgerissen. Heute ist das Gelände ein herrlicher Park.“
„Sie haben uns wirklich sehr geholfen“, bedankte sich Samantha bei der Frau, obwohl sie tatsächlich nicht viel weiter gekommen waren.
Sie und Ben verabschiedeten sich und fuhren mit einem Taxi zu der Stelle, die ihnen die Frau als ehemalige Adresse des Waisenhauses aufgeschrieben hatte. Samantha brauchte gar nicht in ihren Notizen nachzusehen. Sie wusste auch so, dass es sich um dieselbe Adresse handelte, die Johns Vater seinerzeit bei seiner Ankunft auf Ellis Island als zweiten bisherigen Wohnsitz angegeben hatte.
John brauchte einige Zeit, um das Gespräch mit Dimitri und Gernot zu verdauen. Verstehen konnte er vieles immer noch nicht. Er war mit so vielen neuen Informationen konfrontiert worden, dass er mit einem Mal große Mühe hatte, sich überhaupt zurechtzufinden.
Was sollte das mit der Geheimorganisation?
Ein Geheimbund?
Was hatte er damit zu schaffen?
Und vor allem: Wie steckte seine Firma in all dem drin?
Natürlich war ihm bekannt, dass die Ratingagenturen mehr oder weniger gewissenhaft ihre Bonitätseinstufungen für alle Arten von Schuldnern bis hin zu Banken und Staaten abgaben. AAA, oder Triple A, wie es in der Fachsprache hieß, bekamen nur die zahlungskräftigsten, das war klar.Wieso aber befand sich das dreifache A sowohl am alten Grabstein von Marx als auch am Markgrafenstein in Berlin? Und wo war es vielleicht noch zu finden?
John und sein Freund verließen die Wohnung von Dimitri Jurtschenko bald nach dem Gespräch. Nach einem lockeren Geplauder stand keinem von ihnen der Sinn. Mehr als John bereits von Dimitri erfahren hatte, war nicht zu erwarten. Sie verabschiedeten sich mit der Zusage, sich neue Informationen unverzüglich gegenseitig mitzuteilen.
Gernot Bresser und John hatten noch Zeit für ein gemeinsames Abendessen und entschieden sich für das Hotelrestaurant in der Nähe des Airports, da Gernots Maschine nach Berlin noch am selben Abend ging. John versuchte ebenfalls, einen Platz in der Abendmaschine nach London zu bekommen, doch eine Reisegruppe machte sein Vorhaben zunichte. Er wurde zwar auf die Warteliste gesetzt, aber viel Hoffnung machte man ihm trotz seines Senatorstatus nicht.
Die erste Maschine am nächsten Morgen wird sicher nicht so überfüllt sein, dachte sich John zum Trost. Warum er so dringend nach London wollte, konnte er sich nicht erklären. Oder doch? Zurück zu Samantha?
Nach kurzem Zögern rief er Samantha auf ihrem Handy an, um sie über das Gespräch und seine Rückflugpläne zu informieren. Er bekam keine Verbindung. „Netz überlastet“ meldete das Display. Dann eben später, entschied er.
Samantha und Ben fuhren schweigend zurück ins Hotel. Es war mittlerweile später Nachmittag, und sie wollten sich wieder mit den Unterlagen beschäftigen.
Schade nur, dass John das Tagebuch nach Moskau mitgenommen hatte, dachte
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