Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
wahnsinnig.
Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus, bis sie sich wieder gefasst hatte, und wandte sich zur Treppe um. Dabei sah sie durchs Schaufenster nach draußen und stoppte. Vor einem Tabakwarenladen gegenüber der Buchhandlung stand Henry Buster und redete auf jemanden ein. Eine schmale Hand mit rotlackierten Fingernägeln legte sich auf seinen Arm. Henry besaß ein Privatleben, zu dem eben auch Frauen gehörten. Na und?
Rebecca schüttelte über sich selbst den Kopf und wollte sich abwenden. Sein Liebesleben ging sie nichts an. Doch als Henry zur Seite trat und den Blick auf seine Gesprächspartnerin freigab, war sie vom Donner gerührt. Die grauhaarige Fremde vom Friedhof, bei der Henry vorgegeben hatte, sie nicht zu kennen. Auch er hatte sie angelogen.
Sie rannte aus dem Laden und winkte ihm zu. «Henry!»
Aber ihr Rufen ging in der Geräuschkulisse der Mall unter. Sie lief auf die beiden zu. Als sie sie bemerkten, trennten sie sich und eilten in entgegengesetzte Richtungen davon.
So ein Mist! Morgen würde sie auf jeden Fall zu Henry fahren und ihn fragen, warum er sie angelogen hatte. Tränen der Enttäuschung brannten in ihren Augen. Das hätte sie nie von ihm gedacht. Wenn sie einem blind vertraut hatte – neben ihren Eltern –, dann ihm.
Rebecca machte auf dem Absatz kehrt und ging in den Laden zurück. Alegra stand hinter dem Infotresen und winkte sie mit dem Finger zu sich. «Wolltest du nicht im Café auf mich warten?»
«Ich habe eben den besten Freund meines Vaters zusammen mit der grauhaarigen Fremden vom Friedhof gesehen, von der ich dir erzählt habe. Dabei hat er mir versichert, sie nicht zu kennen. Bin ich denn nur noch von Lügnern umgeben?»
Rebecca stützte sich seufzend auf den Tresen.
«Das tut mir leid. Aber ich kenne das. Lass uns später darüber reden, ich darf mich nicht zu lange mit einem Kunden beschäftigen.»
«Oje, ich möchte nicht, dass du meinetwegen Ärger kriegst.»
«Schon okay, hätte ich auch so bekommen.»
«Ich bin dann oben im Café und warte auf dich.»
Rebeccas Herz klopfte plötzlich schneller. Zuerst schob sie es darauf, dass die Entdeckung von Henrys Lügen sie mehr mitgenommen hatte als gedacht, doch dann spürte sie Aarons Gegenwart. Das konnte doch nicht möglich sein. Bestimmt bildete sie sich das nur ein, weil sie so durcheinander war , versuchte sie sich erfolglos einzureden.
Aber oben angekommen wurde ihr Gefühl zur Gewissheit. Er hatte es also wahr gemacht. Wie hatte sie nur daran zweifeln können. Ihr Blick saugte sich an seinen breiten Schultern fest. Er saß mit dem Rücken zu ihr an einem der Tische weiter hinten, direkt an der gläsernen Balustrade und studierte die Karte.
Sie hielt die Luft an und umklammerte das Geländer. Wie konnte er wissen, dass sie heute hier war? Unschlüssig blieb sie stehen. Ihr Herz hämmerte so laut im Kopf, dass sie dachte, alle anderen müssten es auch hören. Himmel, wie hatte sie ihn vermisst!
Ihre Beine setzten sich von allein in Bewegung, bis die aufkommenden Zweifel sie wieder zurückhielten. Sicher würde er gleich erkennen, was mit ihr los war, das Engelsblut in ihren Adern spüren. Sie freute sich, ihn wiederzusehen, aber ihr Verstand riet ihr, auf Abstand zu gehen, bis sie mehr über seine Absichten erfahren hatte. Doch wie sollte sie das anstellen? Ihn ausfragen?
Sie konnte sich nicht verstellen, und er würde ihre Absichten sofort durchschauen. Nein, es war besser, sofort zu gehen. Bevor ihr Gehirn ihren Gliedern den Rückzug hatte befehlen können, stand er bereits vor ihr mit diesem atemberaubenden Lächeln.
Er schien sich ehrlich zu freuen, sie wiederzusehen. Sich so verstellen konnte nicht einmal der beste Schauspieler. Dennoch hatte sich der Zweifel in ihr wie ein Widerhaken festgesetzt. Sie forschte in seinem Gesicht, ob er ihre dunkle Hälfte spürte. Nichts deutete daraufhin.
Aaron war hier, und allen Bedenken zum Trotz musste sie sich eingestehen, dass auch sie sich freute. Vergessen waren die Worte, die sie längst bereut hatte. Allein seine kraftvolle Ausstrahlung verlieh ihr mehr Zuversicht als die tröstenden Worte aller anderen zusammen.
Bartstoppeln zeichneten sich auf seinen Wangen und seiner Oberlippe ab. Trotz des Lächelns wirkte er abgespannt. Kein Wunder, nach allem, was Alegra ihr erzählt hatte.
«Hi, Aaron», begrüßte sie ihn mit belegter Stimme.
Es kostete sie Mühe, ihre aufwallenden Emotionen unter Kontrolle zu halten.
«Hallo, Rebecca.»
Er zögerte,
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