Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
Nicht so wie ich.»
Ruths Augen füllten sich mit Tränen und Rebecca griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand.
«Mich von dir zu trennen, fiel mir unendlich schwer. Eine Freundin brachte dich zu den Clancys. Wir haben uns so sicher gefühlt. Und dann hat dein Vater sie beobachtet … Er hat sie und ihre Familie dafür getötet.»
Ruth schniefte.
«Du hast nur das Beste gewollt. Ich kann dich verstehen.»
Ruth nickte, zog ein Taschentuch aus ihrer Rocktasche und schnäuzte sich.
«Ich erinnere mich an meinen Vater. All die Jahre habe ich von ihm geträumt, immer denselben Traum, wie er mich ins Feuer hält.»
Ruth sah erstaunt auf. «Das ist nicht dein Vater gewesen.»
Rebecca fehlten die Worte. «Aber ich dachte, Ariel …»
Sie schüttelte den Kopf. «Das wäre er gern gewesen. Ariel und ich, wir haben uns geliebt, bis zu dieser einen Nacht. Er hat mir nie verziehen.»
Ruth stockte und unterdrückte ein Schluchzen.
«Was ist geschehen?»
«Ich habe im Engelsghetto als Heilerin gelebt. Ariel hat mich beobachtet. Ich wusste damals nicht, wer Ariel war, und ich verliebte mich auf den ersten Blick in ihn. Wir trafen uns außerhalb des Ghettos. Doch dann kam die Nacht, in der mich Seraphiel entführte.»
Genauso fasziniert wie ihre Mutter von Ariel war Rebecca von Aaron gewesen. Die Entführung … wer weiß, was ihr widerfahren wäre, wenn Aaron sie damals nicht aus dem Haus am Hudson River befreit hätte. Ruths Leben und ihres glichen sich fast wie Spiegelbilder.
«Und weiter?»
«Nephilim haben mich in einem düsteren Haus eingesperrt. Niemand außer Seraphiel durfte zu mir. Er stellte mir täglich die gleiche Frage: Wo ist Uriels Sohn? Ich habe mich vor ihm gefürchtet, ihn gehasst, verweigerte mich ihm. Jeden Tag habe ich vergeblich versucht zu fliehen. Fünfzig Tage musste ich ohne Sonnenlicht verbringen. Als er einmal tagelang nicht erschien, dachte ich, er hätte mich vergessen und ich müsste in diesem Gefängnis bleiben, bis ich sterbe. Doch dann kam diese besagte Nacht, in der er mich vergewaltigt hat.»
Bitterkeit schwang in Ruths Stimme mit. Rebecca musste sich mit der anderen Hand an der Tischkante festhalten, als ihr schwindlig wurde. Hatte sie eben richtig verstanden? Nicht Ariel, sondern …
«Seraphiel ist mein Vater? Nein, Ariel ist es. Ich spüre das, ihn habe ich in meinen Visionen gesehen. Er hat mich doch ins Feuer gehalten …»
Rebecca wurde übel bei der Vorstellung und doch ergab alles einen Sinn. Aus dem Feuer geboren …
Ruth sah sie voller Mitgefühl an. «Nein, Seraphiel ist dein Vater. Ariel war durch ein Versprechen gebunden und musste dich brandmarken.»
Sie nahm Rebeccas Arm und schob vorsichtig das Schweißband nach oben. «Das Feuerzeichen der Seraphime. Wenn das zweite Zeichen auf deinem Arm durchbricht, hat er dich gefunden.»
Sie sahen sich einen Moment lang in die Augen. Alle Farbe war aus Rebeccas Gesicht gewichen, dann fuhr Ruth fort zu berichten: «Als ich mich damals wimmernd auf dem Boden krümmte, warf er mir eine Schriftrolle hin. Die Prophezeiung über den Nephilim, der die Seelenketten der Verbannten lösen kann. Niemand hat daran geglaubt. Doch mir wurde alles klar.»
«Und was besagt diese Prophezeiung?», fragte Rebecca. Ihr Hals fühlte sich plötzlich eng und rau an.
«Zwei mächtige Engelslinien müssen sich im Blut verbinden, um diesen Nephilim zu erschaffen. Mein Großvater ist der Erzengel Raphael, dein Vater der mächtige Seraphim. Die Vereinigung von Feuer und Wasser, damit dieser Nephilim gezeugt wird. Nur eines haben die Propheten nicht vorausgesehen: die Geburt zweier Nephilim, Feuer und Wasser. Nur der Feuernephilim kann die Seelen erlösen.»
Ruths Blick glitt über Rebeccas Arm.
«Und der soll ich sein?» Fassungslos betrachtete sie Ruths Miene, dann schüttelte sie den Kopf und stammelte immer wieder: «Nein, nein, das kann ich nicht, das will ich nicht, nicht ich …»
«Du musst dein Schicksal annehmen, Rachel. Auf dir ruhen alle Hoffnungen dieser Welt.»
Sie konnte es nicht fassen, was Ruth ihr eben offenbart hatte. Der blonde Junge an Ariels Hand … Sie hatte sich nicht in ihren Gefühlen geirrt.
«Dein Zwillingsbruder Joshua», erklärte ihre Mutter, als hätte sie ihre Gedanken gelesen.
Joshua, der Name des Verkünders. Sie hatte es gespürt und nicht wahrhaben wollen. Dann sah sie Aarons Gesicht wieder vor sich, den Ausdruck der Qual und Abscheu darin, nachdem er die Rune gesehen hatte.
«Zwei Engelslinien
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