Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
tausend Male wissenschaftlich beschreiben und beurteilen, doch wenn es dich selbst trifft, stehst du dem Schicksal fassungslos gegenüber.»
«Deine Eltern wurden in das Krankenhaus eingeliefert, in dem du nächste Woche deinen Dienst antreten wirst. Ich dachte, du wolltest bei ihnen sein.»
«Danke, Martin», antwortete sie, überrascht über seine plötzliche Sensibilität. Unerwartet zog er ihre Hand an seine Lippen und küsste sie. Rebecca entzog sie ihm schnell. «Bitte, Martin, das bringt doch nichts.»
«Ich habe in letzter Zeit viel über uns nachgedacht», fuhr er unbeirrt fort. «Jetzt, wo du in San Francisco arbeitest, könnten wir uns wieder öfter sehen.»
Sie stöhnte innerlich auf. «Martin, ich glaube nicht, dass das jetzt der geeignete Zeitpunkt ist, darüber zu reden. Ich habe jetzt ganz andere Sorgen. Meine Gedanken sind bei meinen Eltern.»
Er seufzte und nickte schließlich. «Okay, wenn du den Kopf wieder frei hast, lass uns noch einmal in Ruhe reden.»
Rebecca war froh, dass sie vor dem Krankenhaus parkten, bevor sie hatte antworten müssen. Noch vor wenigen Stunden hatte sie sich darauf gefreut, hier arbeiten zu dürfen. Doch jetzt wirkte es auf sie nur bedrückend.
Wie in Trance lief sie neben Martin zu den Aufzügen. Als sich die Türen zum Fahrstuhl schlossen, begann ihr Herz zu rasen. Sie presste die Hand gegen den Brustkorb, als könnte sie es damit beruhigen. Dann schloss sie die Augen und atmete langsam tief ein und aus. Ein heftiger Schmerz in der Brust ließ sie zusammenzucken.
Sie riss die Augen auf, als er sie zu überwältigen drohte. Von plötzlicher Kälte umhüllt schien ihr Herz zu erstarren. Rebecca wurde schwindlig und sie geriet ins Taumeln. Ihr Herz setzte kurz aus. Martin fing sie gerade noch rechtzeitig auf, bevor sie zu Boden stürzte.
So also fühlt sich der Tod an , dachte sie, als ihr Herz wieder zu schlagen begann. Angst und Dunkelheit zogen sie in einen Strudel. Bilder trieben in schnellen Sequenzen vor ihren Augen vorbei, Bilder von schwarzen Flügeln, die ihren Vater umarmten und auf ihre Mutter zuschwebten. Nicht ihre Eltern.
«Nein!»
Rebecca begann zu schreien und konnte nicht mehr aufhören. Martin redete auf sie ein, zog sie an sich und strich ihr übers Haar. Aber seine Versuche, sie zu beruhigen, schlugen fehl. Sie erkannte den Ausdruck der Hilflosigkeit in seinem Blick und wollte aufhören, nur war es ihr nicht möglich. Sie begriff ja selbst nicht, was mit ihr geschah.
«Rebecca, um Himmels willen, komm zu dir.»
Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie so lange, bis der Schleier der Angst von ihr abfiel. Keuchend lehnte sie sich gegen die Wand und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Die Bilder in ihrem Kopf wurden schärfer und sie wusste, sie hatte den Todesengel gesehen, sein bleiches Gesicht, das so schön war wie das einer Porzellanfigur.
Nicht er! Er war gekommen, um die Seelen ihrer Eltern zu holen. Sie musste zu ihnen, sofort, aber ihre Beine fühlten sich wie Gummi an und gehorchten nicht. «Martin», stieß sie hervor und krallte die Finger in seinen Arm.
Sie sterben deinetwegen, Rebecca. Niemand darf zwischen uns stehen! Niemand! Der Schicksalstag ist nah.
Das Flüstern war zurückgekehrt. Die Worte schnitten sich in ihr Herz. Ihre Eltern sollten für sie sterben? Was ergab das für einen Sinn? Rebecca rang nach Atem und rieb sich die Unterarme.
«Was ist denn bloß los mit dir?», hörte sie Martins Stimme wie aus weiter Ferne.
«Meine Eltern … sie werden … sterben», stammelte sie mit tränenerstickter Stimme, «ich habe ihren … Tod gesehen.»
Rebecca schluchzte. Sie wusste nicht, woher sie die Gewissheit nahm, dass es keine Halluzination war.
«Was redest du da? Du machst mir Angst, Becca. Lass uns lieber mit dem Arzt reden. Wir sind gleich da.»
Rebecca schüttelte den Kopf. «Sie werden sterben», flüsterte sie und sah Martins ungläubige Miene. Er zweifelte an ihren Worten, wahrscheinlich auch an ihrem Verstand. «Tot, tot, verstehst du nicht?», schrie sie ihre Verzweiflung hinaus.
«Rebecca, bitte, sei vernünftig, wir reden jetzt erstmal mit dem Arzt …»
Im gleichen Augenblick öffneten sich die Aufzugtüren, und Martin schob sie hinaus in den Gang der Intensivstation. Mit Kittel, Haube und Mundschutz bekleidet betrat Rebecca das Krankenzimmer. Sie hatte Martin fortgeschickt. Sie wollte allein sein mit ihren Eltern.
Die Beatmungsgeräte pumpten in gleichmäßigem Rhythmus. Zwar waren all die
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