Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
Säulengang voran, den er vor Monaten zum ersten Mal betreten hatte. Sein Arbeitgeber, der Kardinal, war ein gütiger Mann, um dessen Gesundheit es jedoch nicht zum Besten stand. Bei seinem schwachen Herz war Aufregung Gift. Der Geistliche stand im engen Kontakt mit dem Erzengel Raphael, Joels Vater. Auch Uriel war ein gern gesehener Gast seines Hauses.
Aaron klopfte mit der Faust gegen das hölzerne Eingangsportal. Schlurfende Schritte näherten sich und ein Mann, noch betagter als der Kardinal, öffnete. Es war der alte Giovanni, ein Priester im Ruhestand und alter Freund des Kardinals.
Aaron stellte sich vor. Die Miene seines Gegenübers blieb reglos. «Ah, jetzt erinnere ich mich. Sie sollten doch morgen Ihren Dienst beginnen, nicht wahr? Ihre Eminenz ist heute nicht zuhause», sagte er und wollte die Tür schließen.
Doch Aaron sah durch eine geöffnete Tür die rote Kardinalskappe auf dem Tisch im Nebenraum liegen. Warum log der Alte?
«Ich weiß, dass der Kardinal da ist.»
«Ihre Eminenz hat aber Besuch von seiner Nichte Julia und kann Sie nicht empfangen. Bitte kehren Sie morgen zum Dienst wieder zurück.»
Besuch von Julia? Sie hatte ihn nie besucht, weil ihr Onkel sie nicht leiden mochte. Auch Aaron hatte sie nie zu Gesicht bekommen. Dass der Geistliche ausgerechnet sie nach den anstrengenden Tagen empfangen wollte, erschien ihm ungewöhnlich.
«Ist sie allein?»
«Ja», antwortete der Alte.
Plötzlich erfassten seine Sinne dunkle Schwingungen. Der Kardinal schwebte in Lebensgefahr. Blitze erhellten den dunklen Flur und Donnergrollen ließ den betagten Mann vor ihm zusammenzucken.
«Lassen Sie mich durch! Sofort!»
Er schob den verdutzten Alten beiseite und holte in Windeseile sein Schwert aus dem Koffer.
«Sie können aber nicht …», protestierte er.
«Ich diskutiere jetzt nicht mit Ihnen. Wo ist er?»
«Wie kommen Sie darauf. Sie können …»
«Wo ist er? Begreifen Sie doch, das Leben des Kardinals ist in Gefahr!», herrschte Aaron ihn an.
Der alte Mann wurde bleich. «In der Bibliothek», antwortete er mit zittriger Stimme und deutete auf eine Tür am Ende des Korridors.
Aaron rannte in den Flur. Die Tür zur Bibliothek stand einen Spaltbreit offen. Stille. Mit dem Schwert in der Hand stürmte er hinein. Doch der Kardinal, der zusammengesunken im Lehnstuhl saß, war allein, die dunklen Schwingungen erloschen. Eine Wolke schweren Parfüms schwebte im Raum.
Der Kardinal starrte ihn leblos an. Blut rann aus seinem Mundwinkel und tropfte auf die Soutane. Wäre Aaron nur einen Moment früher eingetroffen, hätte er den Geistlichen retten können. Er unterdrückte einen Fluch und horchte auf, als sich Schritte näherten. Der Alte war ihm nachgeeilt und schrie entsetzt auf, als er das Zimmer betrat.
«Großer Gott, Euer Eminenz!»
Er wollte zu seinem Dienstherrn rennen. Aaron stoppte ihn mit dem Arm. «Er ist tot», sagte er.
«Aber wer …? Und wie …?», stammelte der Alte.
«Ich weiß es noch nicht.»
Aaron umrundete den mächtigen Eichenholzschreibtisch und trat neben den Toten, um ihn auf Wunden zu untersuchen. Doch nichts war zu sehen, keine Stichverletzung, kein Einschuss, nichts. Vor dem Kardinal lag eine aufgeschlagene Bibel auf dem Schreibtisch. Ein Vers war rot eingekreist: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel.
Aaron tippte mit dem Finger auf die rote, unregelmäßige Linie und führte ihn an die Nase. Blut. Dann sah er die Fingerabdrücke am unteren Rand der Seite. Er hob die Hände des Toten. Am rechten Zeigefinger klebte Blut und die Rillen passten zum Abdruck. Entweder war er gezwungen worden oder er hatte freiwillig die Textstelle gekennzeichnet. Was bedeutete das?
Aaron wollte sich abwenden, als er stutzte. Er kniff die Augen zusammen, denn unter einer Ecke des Buches lugte Papier hervor. Vorsichtig hob er die Bibel an und griff nach dem Zettel. Es wirkte fast so, als hätte der Geistliche das Papier darunter versteckt. In krakeliger Schrift standen zwei Wörter geschrieben: Seraphiel und Exsolutio.
Aaron hielt den Zettel hoch. «Ist das die Schrift des Kardinals?», wandte er sich an Giovanni.
Der Alte nickte. Zusammen mit der Bibelstelle wies alles auf die Apokalyptiker hin. Aaron spürte fast die Todesangst des Kardinals, die wie eine unsichtbare Wolke immer noch im Raum schwebte. Wer hatte ihn aufgesucht? Was bedeutete diese Botschaft auf dem Zettel? Aaron blickte zu Giovanni hinüber, der blass und zitternd im
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