Ab 1000 Meter wird geduzt!: Aus dem abgefahrenen Leben eines Skilehrers (German Edition)
Kopfzerbrechen: Ich hatte nicht ein Pfund gespart, wie sollte ich nun nach Österreich kommen? Auch hier erwies sich Mr. White als netter (und glücklicherweise großzügiger) Kerl, er übernahm die Kosten für Schiffspassage und Zugfahrt.
Es muss schon merkwürdig ausgesehen haben, wie ich da mit einem alten Koffer in der Hand durch mein kleines Dorf lief. Es war Zwischensaison, die Ruhe vor dem Sturm, als würde das Dorf tief Luft holen, um sich für den turbulenten Winter zu wappnen. Der Herbst kündigte sich an, die Blätter hatten sich verfärbt. Noch ein paar Wochen, dann würden die ersten Schneeflocken fallen. Mit meinem Vollbart, einem schwarzen Trenchcoat und einer englischen Tweedmütze bekleidet schlenderte ich durch die schmalen Gassen. Sämtliche Menschen, die mir entgegenkamen, Nachbarn, Freunde und Bekannte, liefen einfach an mir vorbei. Ich lächelte in mich hinein. Ob auch meine Mutter mich nicht erkennen würde? Gespannt betrat ich unseren kleinen Laden: »Good afternoon, can I have a chocolate, please?« Meine Mutter schaute kurz hoch, nickte freundlich und bereitete die heiße Schokolade vor. Ich kostete diesen Moment noch ein wenig aus. Als sie mir die Tasse über die Theke reichte, konnte ich nicht mehr an mich halten: »Ja, Mama, gibt’s denn so was? Da erkennst du deinen eigenen Sohn nicht wieder?!«
Meine Mutter schaute mich mit großen Augen an, dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht: »Mensch, Bua, wi lugst den du us!« Der verlorene Sohn war wieder zurückgekehrt und damit natürlich auch eine wichtige Arbeitskraft. Für Sentimentalitäten blieb wenig Zeit, denn bis zur Wintersaison gab es in der Landwirtschaft noch einiges an Feld- und Stallarbeit zu erledigen.
Als dann der Winter nahte, konnte ich mich endlich ein bisschen als Hilfsskilehrer betätigen. Kaum waren die ersten Flocken gefallen, stand ich auf meinen Brettern und sauste die Berge hinab. Hin und wieder durfte ich an der Seite eines staatlich geprüften Skilehrers arbeiten, was mich nur noch ungeduldiger werden ließ. Ich wollte endlich ein echter Skilehrer sein, denn natürlich entging mir auch das »Rahmenprogramm« nicht. Neidisch betrachtete ich meine Kollegen, die mit ihren hübschen Skihasen die Pisten unsicher machten. Doch ab und an ergab sich auch für mich die Gelegenheit auf einen Schnupperkurs in Sachen Wein, Weib und Gesang.
Flucht aus Forel
Mit dem Ende des Winters war jeglicher Spaß für mich mal wieder vorbei: Ich musste erneut mein Bündel schnüren, denn diesmal sollte ich Französisch lernen. Also schickte mein Vater mich nach Forel-sur-Lucens bei Neuchâtel in die französische Schweiz. Diesmal war ich jedoch glücklicherweise nicht ganz alleine, mein Cousin Arthur begleitete mich, er sollte ebenfalls Fremdsprachen lernen. Auch dort wurden wir für die Landwirtschaft eingeteilt, leider lagen unsere Höfe aber zehn Kilometer voneinander entfernt. Doch so oft es ging, statteten wir einander einen Besuch ab. Dazu standen uns glücklicherweise Pferde zur Verfügung, denn nach einem anstrengenden Arbeitstag hätten wir das zu Fuß vermutlich nicht mehr geschafft. Bis zu zehn Stunden am Tag schufteten wir: Kühe melken, Heu wenden und Gras einbringen. Eine Arbeit, die ich schon von zu Hause kannte. Die französische Sprache kam dabei mal wieder eindeutig zu kurz.
Unsere Frustration stieg von Tag zu Tag, die Arbeit war extrem kraftraubend, die Entlohnung von monatlich 100 Schweizer Franken (heute etwas mehr als 80 Euro) mies. Nach einem Winter auf der Piste war dies für mich die Hölle. Hier gab es weder Pulverschnee noch Frauen und feuchtfröhliche Feten. Ich brauchte dringend ein kleines Vergnügen, eine Abwechslung. Bei der Arbeit auf dem Hof kamen sämtliche Hobbys zu kurz, auch das Fahren von motorisierten Gefährten aller Art. Doch ich verspürte mal wieder diesen unbändigen Drang nach einem kleinen Geschwindigkeitsrausch, weshalb mir dieser Traktor mitsamt seinem Anhänger auf dem Hof sehr gelegen kam. Gut, ein Rennwagen war es nicht, aber hier musste man sich mit dem vorhandenen Material zufriedengeben.
Natürlich dachte ich nicht darüber nach (das hatte ich ja noch nie getan!), ob es wirklich vernünftig war, mit einem Gerät zu fahren, für das mir jegliche Erfahrung fehlte, stattdessen kurbelte ich mit dem Schaltknüppel so lange durch sämtliche Gänge, bis er irgendwo einrastete: leider war es ausgerechnet der Rückwärtsgang. Aber das stand ja nirgendwo drauf, und so gab ich Gas. Da
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