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Ab jetzt ist Ruhe

Ab jetzt ist Ruhe

Titel: Ab jetzt ist Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Brasch
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warteten jetzt nicht mehr so viele Leute. Ich schrieb die Telefonnummern meiner Brüder auf einen Zettel und stellte mich an. Zwanzig Minuten später sprach ich mit meinem jüngsten Bruder. Er sagte, er habe keine Ahnung, wo mein ältester Bruder sei, und es interessiere ihn auch nicht. Er klang gereizt. Ich ließ mich mit der Nummer meines mittleren Bruders verbinden. Seine Freundin, die helle Tänzerin, meldete sich. »Er ist nicht da«, sagte sie. »Er dreht oder er säuft. Wahrscheinlich beides.« Sie legte auf, ich bezahlte am Schalter und ging.
    Draußen lief ich noch eine Weile durch die Gegend, bis es acht war, dann kehrte ich zum Haus zurück und klingelte wieder an Tamás’ Tür. Keine Antwort. Doch inzwischen war es mir egal. Jetzt wollte ich nur noch schlafen. Ich stieg zum Dachboden hinauf, holte meine Sachen aus dem Versteck, rollte meinen Schlafsack wieder aus, legte mich hin und schlief sofort ein.
     
    Ein paar Stunden später war ich hellwach. Die Kirchturmuhr schlug zweimal. Mir war heiß und mein Kopf tat weh. Ich machte die Taschenlampe an, schlüpfte aus meinem Schlafsack und trank etwas Wasser. Zwei Uhr. Ich verfluchte mich, dass ich mich so früh schon hingelegt hatte.
    Der Dachboden machte Geräusche. Es knackte und knarrte ununterbrochen im Gebälk, und je mehr ich mich darauf konzentrierte, desto lauter wurde es. Ich werde nie wieder einschlafen können, dachte ich und tat mir leid. Ich fühlte mich unendlich einsam und hätte auf diesen Teil des Abenteuers jetzt nur zu gern verzichtet. Ich wühlte in meinem Rucksack nach einem Buch. Es war ausgerechnet Hesses »Schön ist die Jugend«. Ich las ein bisschen von seinem leichten, bunten, letzten Sommer vor dem Erwachsenwerden und ließ mir von ihm erklären, dass eine schlaflose Nacht immer eine lästige Sache sei. Man werde leicht ärgerlich und denke ärgerliche Dinge. Man solle einfach »seinen Willen brauchen und Gutes denken«. Klugscheißer, dachte ich. Aber ich konnte es ja mal probieren. Also legte ich das Buch weg, rollte mich wieder in den Schlafsack, machte das Licht aus, dachte an Gutes und Schlechtes, stand wieder auf, lief herum, bekam Angst, überlegte, ob ich doch lieber zum Bahnhof gehen sollte, wo alle heimatlosen Weltengänger schliefen, wenn sie keine Bleibe hatten, verwarf den Gedanken, legte mich wieder hin, las, dachte Gutes und Schlechtes, und nachdem die Kirchturmuhr noch zweimal geschlagen hatte, schlief ich wieder ein.
    Im Morgengrauen kam die Taube. Sie gurrte dümmlich vor sich hin. »Schnauze«, sagte ich und zog mir den Schlafsack über die Ohren. Der Vogel verstummte kurz, um wenig später nur noch lauter und hysterischer zu gurren. Die Turmuhr schlug fünf.
    Ich pellte mich wieder aus meinem Schlafsack und stand auf. Die Taube schwieg. Ich lief über den Dachboden, durch den jetzt das fahle Licht der Dämmerung kroch. Keine Spur von der Taube. Vielleicht war sie wieder abgehauen oder schlief hier irgendwo. Ich legte mich wieder hin, und als ich gerade eindöste, war sie wieder da und quatschte. Ich schmiss einen meiner Turnschuhe dahin, wo ich sie vermutete. Doch es hatte keinen Sinn – nach einer kurzen Pause fing sie beleidigt von vorne an.
    Es reichte mir, mein Kopf dröhnte, und ich brauchte frische Luft. Ich stand auf, versteckte meine Sachen wieder hinter den Holzplanken und verließ den Dachboden.
     
    Es war noch nicht mal sechs und die Straße fast menschenleer. Ich ging zu dem kleinen abgelegenen Platz, setzte mich auf dieselbe Bank wie gestern und schloss die Augen. Die Luft war mild und weich, ein paar Vögel zwitscherten, und nur hin und wieder fuhr ein Auto vorbei. Ich legte mich auf die Bank, bettete meinen Kopf auf den Rucksack und schlief ein. Eine Stunde später wurde ich von einem kleinen dicken Mann mit Hut und Aktentasche geweckt, der heftig gestikulierend auf mich einredete. Ich nahm meine Sachen und trollte mich.
    Ich ging zu dem Kiosk, bei dem ich mir gestern etwas zu essen gekauft hatte. Er hatte schon geöffnet. »Jó napot«, sagte ich und zeigte auf die große Flasche Wasser und ein Brötchen. Ich bezahlte und wollte gerade gehen, als der Besitzer mich ansprach.
    »Német?« Ich nickte überrascht.
    »Gut«, sagte der Verkäufer, schob seine Schiebermütze nach hinten und grinste. »Dann können wir ja Deutsch sprechen.«
    »Woher weißt du, dass ich Deutsche bin?«, fragte ich ihn.
    »Ostdeutsche«, korrigierte er mich. »Weiß nicht … ich hab’s eben gewusst. Ihr zeigt

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