Abaddons Tor: Roman (German Edition)
könnte hinter einem dieser Tore darauf warten, dass jemand eine Dummheit macht. Vielleicht sollten Sie sich besser dauerhaft hier einrichten und dem Untergang geweihte Babys zeugen. Leben und sterben Sie in der Dunkelheit. Aber dann bleibt das, was da draußen ist, wenigstens draußen.«
Holden legte die Hand auf die Druckliege, um sich zu stabilisieren. Sein Herz schlug wer weiß wie oft pro Minute, und die Hände waren feucht und blass. Ihm war, als müsste er sich übergeben, und er fragte sich, ob er die Vakuumtoilette rechtzeitig erreichen würde. In seiner Erinnerung starben Sterne.
»Glauben Sie, wir sollten es tun?«, fragte er. »Still bleiben und uns verdrücken?«
»Nein, ich will sie öffnen. Hier habe ich alles erfahren, was ich während der Sperre überhaupt erfahren kann. Ich will herausfinden, was passiert ist, und das heißt, dass ich losziehen und einen Blick auf den Tatort werfen muss.«
»Sie sind die Maschine, die Dinge herausfindet.«
»Genau«, bestätigte Miller. »Berücksichtigen Sie die Quelle der Informationen. Vielleicht möchten Sie mit jemandem darüber reden, der nicht tot ist. Ihr habt mehr zu verlieren als ich.«
Holden dachte einen Moment nach, dann lächelte er. Schließlich lachte er.
»Ich bin nicht sicher, ob es überhaupt eine Rolle spielt. Ich bin nicht gerade in einer Situation, in der ich viel entscheiden könnte.«
»Das ist wahr«, bestätigte Miller. »Nehmen Sie’s nicht persönlich, aber bei der Auswahl Ihrer Freunde haben Sie kein gutes Händchen.«
31 Melba
Sie steckte in der Gefängniszelle, als sie die Walze in Bewegung versetzten. Ursprünglich hatte die Zelle in einer Art Tierklinik als Abteil für große Nutztiere dienen sollen – Pferde oder Kühe vielleicht. Es gab ein Dutzend Boxen, jeweils sechs auf jeder Seite, mit gebürsteten Stahlwänden und Stangen. Es waren echte Gitter, wie man sie manchmal in alten Videos sah, nur dass sie oben kleine Schwingtüren hatten, durch die man Heu hineinschaufeln konnte. Alles andere war keimfrei und weiß. Sämtliche Zugänge waren verriegelt. Ihre Kleidung war weg, sie trug jetzt einen hellrosafarbenen Overall. Das Handterminal war ebenfalls weg. Sie vermisste es nicht. Im Moment schwebte sie mitten im Raum, die Wände waren knapp außerhalb der Reichweite ihrer Finger und Zehen. Ein Dutzend Versuche hatte sie gebraucht, immer wieder die Wand berührt und sich jedes Mal behutsamer abgestoßen, bis sie genau den richtigen Schwung hatte, um vom Luftwiderstand in der Mitte aufgehalten zu werden, wo sie nichts berührte und nichts sie berühren konnte. Wo sie frei schwebte und im Schweben gefangen war.
Der Mann in der anderen Zelle sprang zwischen den Wänden hin und her. Er lachte und rief ab und zu, meistens brütete er nur. Sie ignorierte ihn. Er war leicht zu übersehen. Die Luft rings um sie bewegte sich leicht, wie es in Schiffen immer der Fall war. Einmal hatte sie eine Geschichte über ein Schiff gehört, dessen Luftumwälzung mitten in der Nachtschicht ausgefallen war. Die ganze Crew war in den ausgeatmeten Gasen erstickt, die sich wie eine Blase rings um sie gesammelt hatten. Sie waren in ihrer eigenen verbrauchten Luft umgekommen. Melba glaubte nicht, dass die Geschichte der Wahrheit entsprach, denn die Leute wären vorher wach geworden. Sie hätten gekeucht, um sich geschlagen und wären aufgesprungen, um zu überleben. So verhielten sich Menschen, die überleben wollten. Menschen, die sterben wollten, schwebten einfach nur.
Im ganzen Schiff sprangen die Alarmsirenen an. Das Blöken hallte durch alle Decks und nahm die Klangfarbe einer riesigen Trompete an. Zuerst eine Warnung, gleich darauf noch eine. Dann schwebte sie lautlos von den Gitterstäben weg, bis die Rückwand sie an der Schulter berührte, als wollte sie mit einem schüchternen Tasten ihre Aufmerksamkeit gewinnen. Zentimeter um Zentimeter kam ihre Haut mit der Wand in Kontakt. Fast eine halbe Minute lang berührte die Wand sie, und sie und die Wand schmiegten sich aneinander wie betende Hände. Die Drehung der Walze konnte sie nicht sehen, sondern spürte nur den Schwung, der sie nach vorn trieb, und dann war das, was vorne gewesen war, auf einmal unten. Stück für Stück rutschte sie die Wand hinunter auf das Deck. Ihr Körper hatte jetzt wieder ein Gewicht, die Gelenke in den Knien und die Wirbel verlagerten sich, weil sie eine Last zu tragen hatten. Melba erinnerte sich, irgendwo einmal gelesen zu haben, dass eine Frau nach
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