Abaddons Tor: Roman (German Edition)
Anspannung der Menge. Es störte ihn lange nicht so sehr wie einige andere Dinge. Was er gerade getan hatte, war vergleichsweise leicht gewesen. Was als Nächstes kam, war schwerer, weil er darüber weniger Kontrolle hatte.
»Wollen Sie hier eine Wache aufstellen, Boss?«, fragte Serge.
»Halten Sie das für nötig?« Bull erwartete keine Antwort und bekam auch keine. Der Karren fuhr ruckend an, die Zuschauer stoben wie eine Antilopenherde vor einem Löwen davon. Bull fuhr in die Richtung der Rampe, über die sie ihr Büro erreichen konnten.
»Harte Nummer«, meinte Corin. Es klang nach Wertschätzung.
Das Büro des Kapitäns war mit religiöser Kunst geschmückt. Blau und golden gewandete Engel bewachten die Bogengänge, die zu einem gelassenen bärtigen Gott hinaufführten. Ein wohlwollender Christus blickte hinter Ashfords Schreibtisch von der Wand herab. Das europäische Gesicht war ruhig und heiter. Er hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem blutigen, gebeugten Mann am Kreuz, den Bull kannte. Der Erlöser war von den Symbolen des Überflusses flankiert: Weizen, Mais, Ziegen, Kühe und Sterne. Kapitän Ashford schritt vor Jesu Knien hin und her. Sein Gesicht war vor Zorn dunkelrot angelaufen. Michio Pa saß auf dem zweiten Besucherstuhl und sah weder Ashford noch Bull an. Wie schwierig die Situation auch hinsichtlich der marsianischen Forschungsschiffe und der Militäreskorte sowie des mächtigen irdischen Verbandes war, das alles war im Augenblick vergessen.
Bull ließ sich seine unguten Vorahnungen nicht anmerken.
»Das ist völlig inakzeptabel, Mister Baca.«
»Warum sagen Sie das, Sir?«
Ashford blieb stehen, stemmte die flachen Hände in weitem Abstand auf den Schreibtisch und beugte sich vor. Bull blickte ihm in die blutunterlaufenen Augen und fragte sich, ob der Kapitän genug Schlaf bekam.
»Sie haben ein Mannschaftsmitglied getötet«, sagte Ashford. »Sie haben dies vorsätzlich und bewusst getan, und außerdem vor hundert Zeugen.«
»Verdammt auch, warum erwähnen Sie die Zeugen, wenn es Überwachungsvideos gibt?«, antwortete Bull. Es war keine kluge Antwort.
»Sie sind vom Dienst suspendiert, Mister Baca. Sie bleiben in Ihrem Quartier, bis wir zur Tycho-Station zurückgekehrt sind, wo Sie wegen Mordes angeklagt werden.«
»Der Mann hat Drogen an die Besatzung verkauft.«
»Dann hätte er verhaftet werden müssen.«
Bull holte tief Luft und atmete langsam durch die Nase aus.
»Was glauben Sie, Sir – führen wir eher ein Kriegsschiff oder eine Raumstation?« Ashford runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Rechts neben Bull regte Pa sich unbehaglich. Als keiner der beiden antwortete, fuhr Bull fort: »Der Grund meiner Frage ist folgender: Wenn ich ein Cop bin, ja, dann hätte ich ihn in den Bau schaffen müssen, sofern wir einen hätten. Er hätte einen Anwalt bekommen müssen. Wir hätten die ganze Sache sauber durchziehen können. Wenn Sie mich fragen, dann ist dies aber keine Raumstation. Ich glaube, dies ist ein Schlachtschiff. Ich bin hier, um in einer potenziellen Gefechtssituation für militärische Disziplin zu sorgen. Damit meine ich nicht die Disziplin der irdischen Navy und auch nicht die der Marsianer. Ich meine die Disziplin der AAP. Der Gürtler.«
Ashford stand auf.
»Wir sind keine Anarchisten«, fauchte er verächtlich.
»Vielleicht irre ich mich ja«, erwiderte Bull, »aber nach der Tradition der AAP darf jemand, der mit seinem Verhalten vorsätzlich das Schiff gefährdet, zu Fuß zum nächsten mit Luft versorgten Raum zurückkehren.«
»Sie haben ihn aus einem Bottich voller Wasser geholt. Wie hat er da das Schiff gefährdet? Wollte er mit Tang um sich werfen?«, fragte Pa mühsam beherrscht.
»Leute treten im Drogenrausch den Dienst an.« Bull verschränkte die Finger auf einem Knie. »Sie müssen es mir nicht glauben. Erkundigen Sie sich. Es ist ja auch kein Wunder. Wir haben dreimal so viel Arbeit zu erledigen, wie man überhaupt schaffen kann. Die Leute nehmen Feenstaub und sind nicht mehr müde, brauchen keine Pausen mehr und werden nicht langsamer. Sie schaffen mehr. Leider trübt das Zeug auch das Urteilsvermögen, und man braucht dummerweise ein gutes, um zu bemerken, dass man ein schlechtes hat. Es sind schon Leute verletzt worden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Ersten sterben oder etwas Schlimmeres passiert.«
»Wollen Sie damit sagen, der Mann sei dafür verantwortlich gewesen, dass die anderen ihre Arbeit schlecht getan haben, und dass Sie
Weitere Kostenlose Bücher