Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
sein. War durchaus denkbar, dass man sie nach der Eskapade und der Flucht suchte. Besser, wenn sie nicht als Team geortet wurden.
„Was ist?“, fragte er im Vorbeigehen.
„Der Typ mit dem Hut kommt“, sagte Simon und wendete sich zu dem ausgehängten Fahrplan, als suche er nach der nächsten Verbindung. Ein als Ballon dämlich verkleideter Student verteilte Einladungen zur Heißluftballon-Meisterschaft in Tempelhof. Für Simon war das eine willkommene Möglichkeit, sich weiter hier aufzuhalten und zu plaudern, ohne einem möglichen Beobachter besonders aufzufallen. Er nahm Infomaterial entgegen und versprach, die Meisterschaft zu besuchen. Nikto ging zu einem Zeitungsstand, betrachtete scheinbar die Auslage, doch er verfolgte den Mann im Dufflecoat, wie er mit seinem Metallkoffer zu den Schließfächern ging. Kurz darauf kehrte er ohne Koffer zurück und verschwand zur U-Bahn. Nikto ging zurück zu Simon, beorderte ihn, ihm zu folgen.
Simon hatte inzwischen einen Souvenirstand erreicht und suchte in der Auslage nach einem Mitbringsel für die Verwandtschaft. So zumindest hätte es auf unbeteiligte Passanten gewirkt. In Wirklichkeit arbeitete sein Verstand auf Hochtouren und mit einem Mal, kurz bevor Nikto zu ihm kam, war Simon klar, wie das mit den Schließfächern funktionierte. Sein Blick war auf den Gorbatschow in dem Gorbatschow in dem Gorbatschow gefallen. Eine russische Puppe.
„Ich weiß es!“, triumphierte Simon, als er hinter Nikto hermarschierte. „Ich weiß, wie sie es machen.“
„Draußen!“, befahl Nikto und ging voran.
Vor dem Bahnhof zogen sich die beiden vor dem pappigen Schnee und den Blicken der auch hier präsenten Kameras unter das Dach eines riesigen Fahrradparkplatzes zurück.
„Die Puppe in der Puppe“, sagte Simon. „Sie machen es so ähnlich. Deshalb immer die 69.“
„Ja?“ Nikto hatte noch nicht ganz verstanden.
„Sie schieben es in die 69 rein, aber sie holen es aus der 69 nicht wieder raus.“ Simon war begeistert von seiner Idee. „Sie öffnen das Schließfach auf der Rückseite. Haben das dazwischen hohl gemacht. Aufgesägt oder so. Die Rückwand. Dahin, ich mein auf die Rückseite von Nummer 69, dahin kann auch die Kamera nicht sehen.“
„Sehr gut!“ Nikto betrachtete Simon. „Du brauchst eine Brille“, befand er und suchte in dem Drogerie-Markt für drei Euro ein altmodisches Exemplar aus.
„Sieht scheiße aus“, maulte Simon.
„Genau“, sagte Nikto. „Du willst doch reich werden, oder?“ Damit ging er voran zu den Schließfächern und zu dem Beamten, der für sie zuständig war, und stellte sich als Kommissar Wolff und Simon als seinen Azubi Geißlein vor. Simon konnte nicht fassen, dass das funktionierte. Aber Nikto hatte wohl recht. Die Menschen nehmen nur wahr, was sie wahrnehmen wollen.
„Ich muss meinen Chef fragen, ob ich das öffnen darf“, sagte der Bahnbeamte, der für die Schließfächer zuständig war.
„Tun Sie das“, sagte Nikto und spielte mit seinem Kommissarausweis. „Aber ich sage Ihnen eins, nur eins: Terrorismus!“
„Wie?“ Der Beamte glotzte ihn an.
„Bombe! Wir haben Grund zu der Annahme. Bombe. Wenn Sie jetzt noch alle Vorgesetzten informieren – es kann zu spät sein.“
„Bombe? Um Gottes willen“, jammerte der Beamte, erinnerte sich dann aber an seine Pflichten und überlegte. „Aber der hat doch zweimal die Woche ’nen Koffer reingetan, davon is’ keiner hochgegangen.“
„Natürlich nicht!“, empörte sich Nikto und Simon wunderte sich, wie er aus der Nummer je wieder rauskommen wollte, denn der Beamte hatte ja vollkommen recht.
„Wenn Sie eine Bombe ...“
„Will ich nicht!“
„Wenn!“, beharrte Nikto.
„Auch, wenn nicht!“
„Das ist wie beim Autobauen“, erklärte Nikto.
„Die legen Bomben?“ Der Beamte war jetzt vollends verwirrt.
„Jedes Auto wird getestet, korrekt?“
„Korrekt!“
„Jeder neue ICE auch, korrekt?“
„Korrekt!“ Jetzt konnte der Beamte beruhigt nicken. Das begriff er.
„Der heutige Terror ... Sie machen sich keine Vorstellungen. Die sind organisiert wie ein riesiges Unternehmen. Die überlassen nichts dem Zufall. Denken Sie an den 11. September.“
„So was wollen die hier?“
„Korrekt!“ Nikto wandte sich zu Simon. „Wie lange bleibt uns noch, Kollege?“
„Elf Minuten und neun Sekunden.“ Simon stieg sofort auf das Spiel ein. Er musste aufpassen, dass er nicht lachte. Was Nikto da veranstaltete, war ganz einfach großartig.
„Elf
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