Abaton: Die Verlockung des Bösen (German Edition)
der Kühltruhe seine Wange. Stumm kam Simon an den Tisch, setzte sich. Linus schaute ihn nicht an. Schweigen. Bis Linus Simon die Zeitung zuschob.
„Ich hab ihn umgebracht“, sagte Linus. Im Lokalteil wurde von einem Messermord an einem Unbekannten berichtet. Um die Identität des Toten zu klären, hatte man ein Foto von ihm abgebildet. Es war Clint.
„Du?! Wie? Wieso?“
„Ich weiß nicht, ob ich damit klarkomme“, schloss Linus, nachdem er Simon erzählt hatte, was ihm widerfahren war.
„Notwehr!“ Simon bemühte sich, seine Stimme fest und sachlich klingen zu lassen. „Eindeutig Notwehr!“
„Darum geht es nicht“, sagte Linus leise. „Das ist – ich weiß nicht. Ich weiß nicht, ob ich noch Linus bin. Ob Linus nicht auch gestorben ist.“
Simon konnte dem nichts entgegnen. Wie auch? Er hatte niemals etwas ähnlich Schreckliches getan.
„Merkwürdig, dieses ganz normale Leben, wie in dem Starbucks mit den Mädchen. Wir sind ganz schön weit abgedriftet.“ Simon wusste, dass es lächerlich war, was er sagte. Er fühlte sich hilflos. Wollte einfach irgendetwas sagen.
„Ist jetzt wohl nicht die richtige Zeit für Mädchengeschichten“, antwortete Linus.
Keiner der beiden bemerkte, dass Edda zurückgekommen war. Sie blieb am Fenster stehen und lauschte.
„Sagst du“, sagte Simon und versuchte, möglichst unbeteiligt zu klingen.
„Was meinst du?“
„Nix. Schon gut.“
„Nein. Sag schon“, forderte Linus. „Na, los!“
„Meinst du, ich merk nicht, wie du dich an Edda ranmachst?“ Simon versuchte, lässig zu klingen. „Ist das keine Mädchengeschichte?“
„Wie bitte?!“ Linus fixierte Simon.
Edda trat einen Schritt zurück in den Schatten.
„Als ich von Bobo zurückkam, da hab ich gemerkt, dass zwischen euch im Auto was gelaufen ist. Und deine ganze Planerei mit Marie ...“
Linus lächelte verächtlich. „Oh, Mann!“
„... und in dem Bahnhäuschen“, Simon verlor alle Zurückhaltung, die er nach dem Geständnis von Linus gezeigt hatte, „was ist da zwischen euch gelaufen? Was?!“
Wütend schleuderte er die Zeitungen auf den Boden. Linus wusste, wie Simon sich fühlte – so wie er sich gefühlt hatte, als GENE-SYS ihn ausgemustert und auf den Menschenmüll hatte werfen wollen.
„Wenn wir das hier mit ihrer Großmutter zu ’nem guten Ende bringen wollen, müssen wir uns daran halten, dass keiner von uns was mit Edda anfängt – egal, was er für sie fühlt“, sagte Linus entschieden.
„Was FÜHLST du denn?“, fragte Simon mit feindseliger Stimme. Obwohl er merkte, dass Linus sein Bestes versuchte, obwohl er wusste, was Linus durchgemacht hatte, war er verletzt. Er war sich sicher, dass Edda Linus mehr mochte als ihn und dass Linus sich seiner Sache so sicher war, dass er es sich leisten konnte, ihm so ein Angebot zu machen.
„Hat doch keinen Sinn, wenn wir uns gegenseitig fertigmachen. Wenn wir zusammen überleben wollen, müssen wir zusammenhalten. Oder wir trennen uns – hier und heute.“ Linus streckte Simon die Hand entgegen.
Unentschieden starrte Simon auf die Hand.
„Was hast du mit Edda im Bahnhäuschen gemacht?“
Linus schwieg. Simon sah, wie er schluckte. Er war in Verlegenheit.
„Das wirst du falsch verstehen. Ich versteh´s ja selbst nicht.“
Simon schnaubte verächtlich durch die Nase.
„Ach ja?“
„Er hat gesagt, dass er mich liebt“, sagte Edda plötzlich ganz ruhig und trat zu den beiden.
Simon wurde bleich im Gesicht.
„Wir haben mit diesem Angstautomaten experimentiert und ...“
„Und liebst du ihn auch?“, unterbrach Simon.
Edda schaute von Simon auf Linus und dann wieder zu Simon.
„In dem Moment habe ich ihn geliebt, aber es war eine andere Liebe, mehr eine Offenheit, weil die Angst weg war.“
„Wenn du Angst hast, kannst du nicht lieben, das habe ich auch gemerkt“, sagte Linus.
Er lächelte Simon an und Simon spürte, dass die beiden nichts hinter seinem Rücken miteinander hatten, aber dass sie eine gemeinsame Erfahrung verband, die sie mit ihm teilen wollten.
Edda ging einen Schritt auf Simon zu und legte die Arme um ihn. Linus schaute die beiden an, dann ging er auf sie zu und legte ebenfalls die Arme um seine beiden Freunde.
Simon empfand keine Eifersucht mehr. Im Gegenteil, er fühlte sich wohl. Geborgen. Er schloss die Augen. Alles erschien ihm nun richtig. So wie es war. In enger Verbundenheit mit seinen Freunden. Er ließ dieses Gefühl zu, tauchte darin ein, wie in einen warmen
Weitere Kostenlose Bücher