Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition)

Titel: ABATON: Im Bann der Freiheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jeltsch
Vom Netzwerk:
geworden und die Ärztin zog sich zurück. Er wusste, dass sie recht hatte. Doch wie oft hatte er in seinen Kämpfen erlebt, dass schier hoffnungslose Situationen plötzlich Wendungen fanden, mit denen bis kurz vorher niemand rechnen konnte.
    Sein eigener Beinah-Tod kam ihm in den Sinn. Elisabeth hatte ihn gerettet, gegen alle Vernunft und Wahrscheinlichkeit. Wenn man also hier keine Hoffnung bei diesem Locked-in-Syndrom hatte, dann vielleicht in einem anderen Krankenhaus, einer anderen Stadt. Einem anderen Land. Nein. Olsen wollte nicht aufgeben. Nicht solange er nicht alles probiert hatte. Das versprach er sich. Und er würde Linus auch vor den Nachstellungen der Polizei beschützen.
    „Hallo, Linus“, sagte Olsen ruhig und bewegte sich in das Blickfeld des Jungen.
    Als Linus Olsen so nah vor sich sah, überkam ihn eine unbekannte Rührung. Er hatte zugehört, wie er sich eben vehement für ihn eingesetzt hatte. Linus konnte nicht verhindern, dass Tränen in seine Augen traten. Es war wirklich ein Scheißleben, sein Leben. In dem Moment, in dem er Freunde gefunden hatte, einen väterlichen Freund in Olsen, da riss man ihm den Boden unter den Füßen weg. Warum ihm? Warum gerade ihm? Er hatte sich für die Freunde geopfert und das war der Dank? Eingeschlossen zu sein. In sich selbst. In seinem Körper.
    Linus hatte gehört, was die Ärztin den Polizisten gesagt hatte, die ihn fotografiert hatten. Sie hatte von der Verletzung berichtet, von der schweren Operation. Er spürte nichts davon. Null. Sosehr er sich auch bemühte, seine Versuche, Signale aus seinem Körper zu empfangen, liefen immer wieder ins Leere. Leere! Das war das richtige Wort. Linus empfand eine gigantisch große Leere. Warum verschluckte sie nicht auch sein Hirn? Warum musste er das alles erleben? Für einen Moment wünschte er sich, seine Verfolger hätten besser gezielt.
    Linus wurde wütend. Er wollte Schmerzen. Jetzt! All die Schmerzen, die der Schuss, die die Operation seinem Körper zugefügt hatten. Er wollte sie spüren. Wollte sie durchleiden. Wollte an ihnen verzweifeln. Wollte schreien. Wollte sich dagegen wehren. Wollte ihnen trotzen. Doch dieses Scheißleben ließ ihm nicht die Chance dazu.
    „Ich werde mich um dich kümmern“, hörte Linus Olsen sagen. „Mach dir keine Sorgen. Wenn man dir hier nicht helfen kann, dann eben woanders. Das verspreche ich dir!“
    Linus sah, dass auch Olsen die Tränen in den Augen standen. Und dann spürte er, wie dieser alte Mann zögernd über seinen Kopf strich. Linus schloss die Augen. Eine Träne rollte über sein Wange. Verdammt! Wenn er die doch bloß hätte wegwischen können ...
    Olsen atmete schnell. Irgendetwas hatte ihn dazu gebracht, Linus zu berühren. Ihm über den Kopf zu streichen. Mit zitternden Fingern. Olsen war wie elektrisiert. Denn es war ihm, als geschehe ihm in diesem Moment dasselbe. Er spürte eine liebevolle Hand über sich. Er wusste, dass niemand sonst im Raum war, doch für einen Moment hatte er das Gefühl einer zarten, streichelnden Hand. Ganz deutlich. Es war eine Erinnerung. Das war ihm plötzlich klar. Und was ihn wirklich traf, war der hoffnungsvolle Gedanke, dass es vielleicht eine Erinnerung an die Zeit vor dem Tod seines Vaters war. Eine Erinnerung an seine Mutter ...
    „Sind Sie echt sein Opa?“
    Olsen sah auf. In der Tür stand ein kräftiger Junge. Das Shirt hing modisch aus seiner Hose und die Hose in seinen Kniekehlen.
    „Ich bin Thorben“, sagte der Junge und deutete auf Linus. „Ich kenne ihn ... Linus.“ Er kam näher und traute sich Linus anzusehen. Und Linus sah nun auch, wer da hereinkam.
    Mein Gott, der hat mir echt noch gefehlt, dachte Linus und merkte, wie sehr er sich freute, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Auch wenn es sich nur um diesen wandelnden Pfannkuchen handelte.
    [3118]
    Der Karton neben ihr auf dem schmalen Bett enthielt alles, was man Greta nach fast sechzig Jahren Forschung erlaubt hatte mitzunehmen. Ihre Notizhefte, die sie schon in ihrem Studium und dann seit dem Beginn von gene-sys fast täglich mit neuen Ideen vollgeschrieben hatte. Ein kitschiger, alter Kaffeebecher lag in dem Karton. Nur ein Ohr der Micky Maus konnte noch als Griff dienen; das andere war abgebrochen. Ihre geliebten weichen Bleistifte kullerten in dem Pappkarton über ein Foto von ihr und Carl Bernikoff aus dem Januar 1945; damals war Berlin genauso verschneit gewesen wie heute. Unter dem Foto lag » Abatonia « , die Bildergeschichte, die Bernikoff ihr

Weitere Kostenlose Bücher